Hilfe und Kontrolle
Hilfe und Kontrolle 12.10.2020
Die Soziale Arbeit hat nebst dem Tripelmandat* ein sogenanntes Doppeltes Mandat von Hilfe und Kontrolle. Sozialarbeitende sollen benachteiligte Menschen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen unterstützen und zugleich kontrollieren, ob diese Menschen auch ihren Pflichten nachkommen, die von der Gesellschaft und Politik erwartet werden. In einer der ersten Vorlesungen meines Studiums wurde erklärt wie das Doppelte Mandat von der Sozialen Arbeit zu verstehen ist. Doch wurde mir dessen Bedeutung erst richtig bewusst, als ich meine Arbeit bei einem Sozialdienst begonnen habe.
Je vielseitiger ich mich mit den Aufgaben des Sozialdienstes auseinandersetzte, desto mehr wurde mir klar, wie stark meine Hilfe zugleich eine Kontrolle ist. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, aus dem Bereich der Sozialhilfe auszusteigen und in einem anderen Bereich der Sozialen Arbeit neu anzufangen. Leider musste ich erkennen, dass ich mich in einer Sackgasse befinde, da jeder Bereich der Sozialen Arbeit dem Doppelten Mandat untersteht. Hinzu kommt, dass ich meine Arbeitsaufgaben in der wirtschaftlichen Sozialhilfe eigentlich gerne ausführe, weil ich auch die Rechte der Sozialhilfe beziehenden Menschen kenne und sie entsprechend beraten kann.
Je vielseitiger ich mich mit den Aufgaben des Sozialdienstes auseinandersetzte, desto mehr wurde mir klar, wie stark meine Hilfe zugleich eine Kontrolle ist.
Ich habe Soziale Arbeit studiert, weil ich den schwächeren und benachteiligten Menschen helfen wollte. Ich hatte das Bedürfnis, andere Menschen mit meinem Wissen und Können zu befähigen, sich selbst zu helfen. Ich wollte, dass es allen Menschen gleich gut ging. Eine Vorstellung wie im Märchen, ich weiss! Das Doppelte Mandat ist für mich zunehmend eine Zerreissprobe. Ich sitze täglich Menschen gegenüber, die sich oft unverschuldet in Not befinden. Die Menschen lehnen sich nicht zurück und hoffen auf Rettung, nein sie sind aktiv und kreativ. Sie wollen weg von der Sozialhilfe und versuchen sich mit verschiedenen Mitteln von der staatlichen Hilfe abzulösen. Mir sind oft die Hände gebunden, wenn es um finanzielle Unterstützung für deren Ideen und Wünsche geht. Die Bestimmungen in der Gesetzgebung sind sehr strikt und es wird nur jene Reintegration finanziert, die der Staat nach seinem Verständnis als zielführend anerkennt.
Die Aufgabe von Hilfe und Kontrolle setzt Pflichten und Grenzen zugleich
Doch wie das Doppelte Mandat von Hilfe und Kontrolle bereits sagt, muss ich nicht nur helfen sondern auch kontrollieren. In bestimmten Situationen werde ich zur Polizistin. Ich muss überprüfen, ob die Sozialhilfe beziehende Person ihrer Arbeitspflicht nachkommt, ob deren Arbeitsunfähigkeit abgeklärt und begründet ist und ob alle Einnahmen deklariert sind. Die Aufgabe von Hilfe und Kontrolle setzt mir Pflichten und zugleich auch Grenzen in meinen Unterstützungsmöglichkeiten. Ich kann und darf mich nicht vollumfänglich auf die Bedürfnisse der betroffenen Menschen einlassen, sondern muss mich auch immer am gesetzlichen Rahmen orientieren.
Die komplexe Herausforderung des Doppelten Mandates hat mich unter anderem dazu bewogen politisch aktiv zu werden. Ich erkannte, dass ich meinen Anspruch nach Gerechtigkeit nicht in den einzelnen Beratungen umsetzten konnte. In meinem politischen Engagement hingegen, kann ich mein Wissen über Hilfe und Kontrolle der Sozialen Arbeit bei übergeordneten und rechtsprechenden Diskussionen einbringen, thematisieren und Veränderung fordern. Auch wenn es mich oft ärgert, wie unwissend die Politik über die Praxis der Sozialen Arbeit ist, bin ich überzeugt, einzig auf diesem Weg im Doppelten Mandat etwas verändern zu können. Die Hilfe und Kontrolle sind so nahe beieinander und doch so unterschiedlich. Ich empfinde die Kontrolle mehrheitlich als stark überwiegend und die Hilfe als zu sehr reglementiert.
Die Balance zwischen Hilfe und Kontrolle ist für mich ein sehr belastendes Thema. Im Besonderen auch aktuell während der Corona-Krise, in der so manche Ungleichheit deutlich sichtbar wird. Ich versuche eigentlich immer alles Negative irgendwie positiv zu verwenden, aber bei Hilfe und Kontrolle will es mir nicht so recht gelingen. Wie macht ihr das in eurem Arbeitsalltag, dass euch das Doppelte Mandat nicht zerreisst?
Ich bin gespannt auf eure Rückmeldungen.
Herzlich
Erika
*Die Soziale Arbeit hat mit ihrem dritten Mandat, basierend auf der Grundlage von wissenschaftsbasiertem Professionswissen, der berufsethischen Basis sowie der durch die Menschenwürde begründeten Prinzipien der Menschenrechte, einen weitergehenden Auftrag. Das dritte Mandat impliziert nämlich, dass die menschliche Würde als eine Legitimationsbasis zu verstehen ist, die über legale Gesetze und bindende Verträge hinausweist und, wenn nötig, eigenbestimmte Aufträge durch die Professionellen der Sozialen Arbeit ermöglicht. Damit hat die Soziale Arbeit nicht nur ein effektives Handlungsinstrument zur Verfügung, sondern auch eine weitergehende Verpflichtung, sich mit begründeter Fachpolitik in öffentliche Diskurse und Politiken einzumischen und diese mitzugestalten. (Nach Silvia Staub-Bernasconi)
Der Blog wiederspiegelt die persönlichen Haltungen der BeitragsautorInnen.