Kommunikation und andere Hindernisse für Schwerhörige und Gehörlose
Kommunikation und andere Hindernisse für Schwerhörige und Gehörlose 11.05.2021
Blogbeitrag von Franziska Müller, Sozialarbeiterin bei der Beratung für Schwerhörige und Gehörlose in Zürich
Heute Morgen erreicht mich eine Nachricht per E-Mail. Die Klientin ist aufgebracht, da ihr ein Arzt die Rechnung für die Gebärdensprach-Dolmetscherin ihrer Krankenkasse geschickt und diese die Rechnung wiederum an die Klientin weitergeleitet hat. Da ist offenbar etwas schiefgelaufen! Eine gehörlose Person muss nämlich die Kosten für Gebärdensprach-Dolmetschende nicht selber übernehmen (es gibt Ausnahmen, die hier aber nicht erläutert werden). Nach dem Behindertengleichstellungsgesetz haben Gehörlose grundsätzlich ein Recht auf eine Übersetzung in Gebärdensprache, damit sie an wichtigen Gesprächen möglichst alles verstehen und besprechen können.
Die Deutschschweizer Gebärdensprache ist eine vollwertige Sprache und von vielen gehörlosen Menschen in der Schweiz die Muttersprache. Es wird mit den Händen gebärdet, aber ebenso wichtig ist die Mimik, das Mundbild und die Positionen. Es ist wunderschön, Gehörlosen beim Gebärden zuzusehen, da es eine direkte, lebendige und poetische Sprache ist.
Unsere Arbeit und unsere Ziele
Die Unterstützung bei erschwerter Kommunikation beinhaltet einen grossen Teil unserer Arbeit bei der Beratung für Schwerhörige und Gehörlose. Es dürfen sich alle Menschen mit einer Hörbehinderung, die im Kanton Zürich oder Schaffhausen wohnhaft sind, bei uns melden, falls sie Rat suchen. Oft haben Gehörlose, oder auch Schwerhörige, neben der Hörbehinderung zusätzlich Schwierigkeiten beim Schreiben, da Deutsch für sie wie eine Fremdsprache ist. Wir helfen deshalb auch, indem wir komplexe amtliche Briefe erklären oder im Namen der anfragenden Person schreiben.
Die Sozialberatung ist für Betroffene kostenlos, da wir uns über verschiedene Vertragspartnerschaften und Spenden finanzieren. In unseren Beratungen gehen wir bestmöglich auf die individuelle Kommunikationsmöglichkeiten der betroffenen Person ein. Unser oberstes Ziel ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Wir unterstützen wo nötig und sinnvoll und arbeiten parteilich und im Auftrag der Betroffenen. Wir vermitteln, erklären, telefonieren, schreiben Anträge, Gesuche und Stellungnahmen.
Maskenpflicht versus Mundbild ablesen
Die Einschränkungen für gehörlose oder schwerhörige Menschen im Alltag sind gross: Sie hören nicht, wenn es eine Durchsage im Bahnhof oder Zug gibt, sie verstehen nichts, wenn das Gegenüber nach unten oder auf die Seite schaut beim Sprechen, sie merken nicht, dass das Velo hinter ihnen klingelt und werden dann noch angegangen. Zusätzlich kommt nun während der Pandemie die Schwierigkeit dazu, dass Schutzmasken die Kommunikation mit den Mitmenschen erschweren.
Wir erleben deshalb täglich, dass die Corona-Zeit für gehörlose und schwerhörige Menschen eine besondere Herausforderung ist.
Das Tragen von Hygienemasken ist ja bekanntlich an vielen Orten obligatorisch und auch wichtig. Es verunmöglicht jedoch das Lippen-Absehen. Deshalb gibt es bei Menschen mit Hörbehinderung sehr oft Missverständnisse und ungute Gefühle aufgrund der Maskentragepflicht. Das ist ungerecht und für die Betroffenen frustrierend.
In der Covid-19-Verordnung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) wird explizit erwähnt, dass «selbstverständlich zu Zwecken einer erforderlichen Kommunikation, die Maske ausgezogen werden kann». Leider wissen das jedoch die Wenigsten. Es braucht deshalb viel Aufklärung von unserer Seite, um auf die Rechte und Bedürfnisse von Schwerhörigen und Gehörlosen aufmerksam zu machen. Ärzt*innen, Behördenvertreter*innen usw. sollten die Masken ausziehen und mit genügend Abstand mit den schwerhörigen oder gehörlosen Personen sprechen. Diese können in den meisten Fällen zum Schutz des Gegenübers, die Maske anbehalten.
Damit ist aber noch nicht alles gesagt. Von den Lippen zu lesen ist nicht vergleichbar mit dem Lesen aus einem Buch. Nur ca. 30% des Gesagten kann eine geübte Person von den Lippen absehen. Alles Weitere muss zu einem sinnmachenden Satz oder Inhalt kombiniert werden. Das birgt eine grosse Gefahr für Missverständnisse.
So geht es besser
Falls Sie also in nächster Zeit einer gehörlosen oder schwerhörigen Person begegnen und mit ihr kommunizieren: Halten Sie genügend Abstand und entfernen Sie Ihre Maske. Sprechen Sie Schriftdeutsch, langsam und deutlich. Achten Sie darauf, dass das Licht auf Ihr Gesicht fällt und die andere Person nicht geblendet wird. Das Gegenüber kann meist zu Ihrem Schutz die eigene Maske anbehalten. Es gibt auch durchsichtige Masken, die zwar ungewohnt sind und vielleicht anlaufen. Aber es kann einen Versuch wert sein.
Und damit ein grosses Danke an alle, die aufmerksam sind und auf besondere Situationen mit Herz und Verstand reagieren!
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