Sensibilisierung im Alltag für Menschen mit Hörbehinderung
Sensibilisierung im Alltag für Menschen mit Hörbehinderung 06.04.2022
Blogbeitrag von Franziska Müller, Sozialarbeiterin bei der Beratung für Schwerhörige und Gehörlose in Zürich
Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit
Sehr häufig erwähnen meine hörbehinderten Klient*innen, dass sie nach der Arbeit oder Schule sehr müde oder völlig erschöpft sind. Das lässt mich immer aufhorchen, denn mit einer Hörbehinderung ist dies ein Dauerthema. Natürlich bin ich abends nach der Arbeit auch müde und muss mich vielleicht aufraffen, noch zum Sport zu gehen.
Für gehörlose oder schwerhörige Personen jedoch ist diese Müdigkeit viel ausgeprägter, sie sind nach einem Arbeitstag oft energielos und brauchen Ruhe und Erholung, auch für ihre Ohren und Augen.
Nicht oder schlecht zu hören bedeutet auch immer, bei der Kommunikation zusätzlich auf das Mundbild, die Mimik und die Gesten der anderen zu achten. Auch können unerwünschte Geräusche wie Telefonklingeln, Kirchenglocken usw. mit Hörgeräten nicht so einfach gefiltert werden, wie das natürlich hörende Ohren können. Diesen Schwierigkeiten sind sich viele Menschen nicht bewusst, die mit einer betroffenen Person im Kontakt sind. In meiner Beratung erlebe ich den täglichen Frust über Situationen, die überfordernd oder, aus verschiedenen Gründen, nicht der hörbehinderten Person angepasst sind.
Beispiel 1: Gehörlose mit Beistandschaft
Heute erreichte mich ein Telefonanruf einer Beiständin: Sie kann partout nicht verstehen, warum die verbeiständete ältere gehörlose Frau nicht allein zu ihrem Optiker kann, um die Brille abzuholen. Ich versuchte ihr zu erklären, dass dies ein grosser Stress für die Dame wäre. Wenn diese allein unterwegs ist, muss sie stark auf den Verkehr achten. Sie hört die Autos nicht, die halten müssen, um sie über den Zebrastreifen zu lassen und anschliessend muss sie den Bus besteigen, was für sie beschwerlich ist.
Im Optiker-Geschäft dann, sollte sie mitteilen, dass sie nur die Brille abholen möchte – doch wie erklären, wenn sie nur die Gebärdensprache und nur wenig Deutsch kann?
Es ist möglich, dass die Dame am Empfang etwas aufschreibt, weil sie denkt, schriftlich sei die Kommunikation sicher möglich. Das ist jedoch längst nicht immer der Fall. Die genannte gehörlose Frau kann kaum Deutsch lesen und schon gar nicht schreiben.
In diesem Fall wäre eine Begleitung angezeigt, die mitgeht, hilft zu verstehen und sich für die Klientin einsetzt. Dass eine Begleitung durch eine Fachperson der Sozialen Arbeit oder eine kulturvermittelnde Person eingesetzt wird, ist zwar kostenpflichtig, jedoch für die Betroffenen eine grosse Unterstützung.
Beispiel 2: Gehörlose im Spital
Wenn eine gehörlose Person ins Spital eintritt, braucht es meistens eine Übersetzung in Gebärdensprache, damit alle Details genau besprochen und verstanden werden. Das Spital kann eine Dolmetschende bestellen über die Firma Procom und muss auch die Rechnung übernehmen, da es eine öffentliche Institution ist. Wir stellen fest, dass es manchmal an Wissen (oder an Willen) fehlt, dass eine Übersetzung notwendig ist. Das ist dann sehr mühsam und ärgerlich, weil es viele Telefonate braucht mit verschiedensten Personen und diese je nach Abteilung immer wieder wechseln. Oft müssen wir sogar die gesetzlichen Grundlagen zustellen, um zum Ziel zu kommen.
Noch schwieriger wird es, wenn ein Notfall eintritt und schnell eine Gebärdenübersetzung nötig ist. Das kann zu viel Stress führen, da es schwierig ist, innert Kürze eine dolmetschende Person zu finden. So ist ein Spitaleintritt oder -aufenthalt für die Betroffenen noch zusätzlich mit Unannehmlichkeiten verbunden. Wir von der Beratungsstelle versuchen dann anwaltschaftlich ihre Rechte durchzusetzen.
Sensibilisierung durch die Beratungsstelle
Neben den Hilfeleistungen wie in den erwähnten Beispielen, bieten wir als Beratungsstelle Sensibilisierungs-Veranstaltungen vor Ort an und informieren darüber, worauf bei einer Zusammenarbeit oder Unterstützung mit oder für hörbehinderte*n Menschen geachtet werden sollte. Arbeitgebende können so ihr Team zu einem bewussteren und einfacheren Umgang mit der oder dem hörbehinderten Mitarbeitenden einladen. Ein Sozialamt kann ebenso von der Sensibilisierung profitieren wie eine Schule, ein Spital oder eine Polizeistation. Alles was unseren Klient*innen im täglichen Leben mehr Verständnis einbringt, ist für sie entlastend und von grosser Bedeutung.
Wir freuen uns über Rückmeldungen und Deine Meinung zum Blog - blog@avenirsocial.ch.
Der Blog wiederspiegelt die persönlichen Haltungen der BeitragsautorInnen.