Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz

Soziale Arbeit bloggt

Der positive Blick 13.05.2020

Krisen sind auch Chancen! Die Coronakrise ist nicht lustig, das ist mir klar und ich will diese auch überhaupt nicht verharmlosen. Doch habe ich persönlich immer wieder erfahren und gelernt, dass der Blick auf Ressourcen gerade in Krisenzeiten eine Chance...

Krisen sind auch Chancen! Die Coronakrise ist nicht lustig, das ist mir klar und ich will diese auch überhaupt nicht verharmlosen. Doch habe ich persönlich immer wieder erfahren und gelernt, dass der Blick auf Ressourcen gerade in Krisenzeiten eine Chance ist. Deshalb will ich diesen Blog ganz den Ressourcen und Chancen der Sozialen Arbeit in der Coronakrise widmen. Auf meinen letzten Blog vom 24.03.2020 habe ich zwei Mails von Berufskolleginnen erhalten, die mich besonders berührt haben. In beiden Mails geht es um ebendiese Ressourcen und Chancen, welche die aktuelle Situation für den Arbeitsalltag mit sich bringt.

Die eine Berufskollegin arbeitet in einem Wohnheim für Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Sie schreibt, dass die Bewohner*innen wegen des Lockdowns häufiger und länger mit anderen Bewohner*innen reden als vorher und sich ganz selbstverständlich zu ihren Gefühlen und Ängsten äussern. Diese werden nun nicht mehr von Scham unterdrückt, sondern als normal empfunden. Die Bewohner*innen reagieren unterschiedlich auf die Massnahmen und der damit einhergehenden Krise. Viele dieser Menschen sind sich gewohnt mit Krisen umzugehen und nehmen deswegen auch keine grosse Veränderung zum sonstigen Alltag wahr. Menschen, die schon vor der Coronakrise in prekären Lebensverhältnissen gelebt haben, sind jetzt oftmals die Profis. Sie wissen aus Erfahrung gut, wie man Krisen bewältigen kann. Als ich eine meiner Klientinnen angerufen habe, um nach ihrem Befinden zu fragen, sagte sie mir: „Um mich müssen Sie sich nicht sorgen. Ich habe den Krieg überlebt und weiss, wie ich mich und meine Familie im Notfall versorgen muss. Auch zu Hause bleiben, ist für mich nicht neu.“

Auch wenn ich mich nach der Normalität des Arbeitsalltags zurücksehne, versuche ich den Blick auf die Chancen und die frei gewordenen Ressourcen zu richten, welche die aktuelle Situation mit sich bringt.

In der Coronakrise geht alles etwas langsamer als sonst. Der Druck zur beruflichen und sozialen Integration rückt dadurch etwas in den Hintergrund. Die Gespräche mit Klient*innen, die fast ausschliesslich per Telefon stattfinden, haben zurzeit auch oft einen anderen Inhalt als ich es bisher erfahren habe. Es sind Themen des Befindens und der Erfahrung im Hier und Jetzt wichtig. Der eine Klient erzählt mir zum Beispiel, dass er seine Ruhe zum Nachdenken beim Fischen findet. Eine Klientin hat sich auf meine Empfehlung hin eine E-Mailadresse eingerichtet und unterhält mich nun mit ihren Alltagsgeschichten. Ein anderer Klient geht häufiger als vereinbart zum Freiwilligeneinsatz. Er hat erkannt, dass er jetzt besonders gebraucht wird und hat an Selbstvertrauen gewonnen.

 

Frei gewordene Ressourcen nutzen

Anders sind aber nicht nur die neu entdeckten Ressourcen in der direkten Arbeit mit Klient*innen, sondern auch in den gewohnten Arbeitsabläufen. Eine andere Berufskollegin, die in der Sozialberatung einer kantonalen Krebsliga tätig ist, schreibt in ihrer Mail, sie habe nun deutlich mehr Zeit, um ihre Klient*innen anzurufen und nach ihren Befinden zu fragen. Es sei ihr in dieser speziellen Zeit sogar möglich, die Entwicklung von lange vor sich her geschobenen Konzepten und Projekten weiter voranzutreiben.

In einzelnen Bereichen der Sozialen Arbeit kommt es vor, dass wegen den wegfallenden Gespräche mit Klient*innen, Sitzungen und Fallbesprechungen, mehr Zeit für anderes bleibt. So konnte auch ich mir in den vergangenen Wochen endlich Zeit für Arbeiten nehmen, die eigentlich zu meinem Aufgabengebiet gehören, die ich aber wegen der hohen Fallbelastung zeitlich nie erledigen konnte. Dazu zählt zum Beispiel das Lesen der Angebote von Institutionen, die ich täglich per Mail erhalte und im Ordner „zu Bearbeiten“ abgelegt habe. Ich gewinne so einen Überblick der vielfältigen sozialen Angebote und werde diese in Zukunft gezielter in der Beratung triagieren können. Ich habe auch endlich Zeit, mich mit Gesetzesartikeln von Miet- und Arbeitsverträgen vertieft zu befassen und wo nötig das Gespräch mit Vermieter*in oder Arbeitgeber*in zu suchen.

Diese Beispiele zeigen, dass Fachpersonen der Sozialen Arbeit auch bei reduzierter direkter Fallarbeit im HomeOffice nicht „plöischlen“. Wir packen jetzt vielmehr die Sachen an, die wichtig sind, aber wegen Zeitmangel lange aufgeschoben werden mussten. Auch wenn ich mich nach der Normalität des Arbeitsalltags zurücksehne, versuche ich den Blick auf die Chancen und die frei gewordenen Ressourcen zu richten, welche die aktuelle Situation mit sich bringt. Die Zeit, wie ich sie jetzt habe, werde ich vermutlich im zurückkehrenden normalen Arbeitsalltag nicht wieder haben. Die Soziale Arbeit wird in den kommenden Monaten oder vielleicht Jahren aufgrund der Coronakrise besonders stark belastet sein. Aber auch für diese Zeit gilt es neue Ressourcen und Chancen zu erkennen. Wir werden neue Perspektiven entwickeln, kreative Möglichkeiten erarbeiten und gegen die prekären Lebensbedingungen der Menschen weiterkämpfen!

In diesem Sinne wünsche ich euch immer die nötige Zeit für einen positiven Blick auf die Ressourcen und Chancen, besonders gerade dann, wenn die Situation aussichtslos scheint.

 

Herzlich

Erika

 

 

Was bleibt nach Corona von der Solidarität? 21.04.2020

Gastbeitrag von Tobias Bockstaller, Verantwortlicher Fachliche Grundlagen von AvenirSocial. Seit über einem Monat gelten die «ausserordentlichen Massnahmen» des Bundes aufgrund der Corona-Epidemie. Für mich bedeutet das, dass ich meine vier Wände bis auf Weiteres nur noch verlasse, um für mich...

Gastbeitrag von Tobias Bockstaller, Verantwortlicher Fachliche Grundlagen von AvenirSocial.

Seit über einem Monat gelten die «ausserordentlichen Massnahmen» des Bundes aufgrund der Corona-Epidemie. Für mich bedeutet das, dass ich meine vier Wände bis auf Weiteres nur noch verlasse, um für mich oder meine Nachbar*innen einkaufen zu gehen oder Sport zu treiben. Zudem arbeite ich nun schon seit mehreren Wochen im Homeoffice, was für mich neben den Einschränkungen im Privaten eine weitere Herausforderung darstellt.

Als Verantwortlicher Fachliche Grundlagen von AvenirSocial setze ich mich vor allem mit langfristigen berufs- und sozialpolitischen Fragen auseinander. In den ersten Wochen dieses Ausnahmezustandes fiel es mir oft schwer, die unmittelbare Relevanz dieser Fragen zu sehen. Aber natürlich steht die Welt nicht still in dieser Zeit und die Fragen, mit denen ich mich vorher beschäftigt habe, lösten sich nicht einfach in Luft auf, sondern haben sich sogar in vielen Fällen zusätzlich verschärft. Viele soziale Ungleichheiten, die vor Beginn der Krise Bestand hatten, prägen sich nun noch weiter aus. Diesen Widerspruch in meiner Arbeit, einerseits langfristige Veränderungen anzustreben, die sich nun andererseits aber plötzlich in kürzester Zeit verschärften, musste ich erst verarbeiten.

Meine Arbeit bei hilf-jetzt.ch

Da viele meiner Projekte gerade brach liegen, hat es sich angeboten, für einige Wochen hilf-jetzt.ch mit meiner Arbeitskraft zu unterstützen. Die Webseite ist eine Plattform für selbstorganisierte Nachbarschaftshilfe. Sie bietet den Hilfsinitiativen Vernetzung und eine Vielzahl an Informationen an. Dahinter stehen hauptsächlich Menschen von digitalorganizing.ch, publicbeta.ch und wecollect.ch. Ich hatte dabei die Aufgabe verschiedene Infoblätter für Hilfebietende und Hilfesuchende zu erstellen. Dazu gehört das Recherchieren der Thematik, der Austausch mit Fachpersonen und das einfache aufbereiten der Informationen. So habe ich zum Beispiel Infoblätter zum Thema «Soziale Isolation» und «Häusliche Gewalt» erstellt. Dabei musste ich vor allem darauf achten, möglichst konkrete Empfehlungen abzugeben und die Informationen so darzustellen, dass sie möglichst vielen Menschen zugänglich sind.

Ich begann mich also als Erstes durch die kurzfristig installierte Hilfslandschaft der Schweiz zu recherchieren. Dabei fiel mir vor allem auf, dass das in der Verfassung verankerte Subsidiaritätsprinzip (der Staat greift erst ein, wenn ein Bedarf nicht von privaten Initiativen gedeckt werden kann), vor allem gleich zu Beginn der Massnahmen besonders stark zum Vorschein trat. Überall wurden private Hilfsinitiativen aus dem Boden gestampft.

Während also die Wirtschaft Milliarden zum Auffangen der Verluste erhält, kämpfen Betreuungs- und Unterstützungsstrukturen weiter darum mehr finanzielle Hilfe zu erhalten.

Erst nach ein paar Wochen begannen die Kantone eigene Angebote aufzubauen oder die Aufgaben offiziell, wie so oft in der Schweiz, an bereits bestehende private Organisationen zu übergeben. Die gesellschaftliche Solidarität von vielen privaten Initiativen ist sichtbar und sehr begrüssenswert. Allerdings verkleinert sie auch den Druck auf den Bundesrat, für diesen zivilgesellschaftlichen Bereich Gelder zu sprechen. Während also die Wirtschaft Milliarden zum Auffangen der Verluste erhält, kämpfen Betreuungs- und Unterstützungsstrukturen weiter darum mehr finanzielle Hilfe zu erhalten. Soweit bis jetzt also nichts Neues.

Beeindruckende Solidarität

Prognosen zur Zukunft sind aktuell kaum zu machen. Trotzdem hier mein Versuch ein paar Veränderungen, die auch die Soziale Arbeit betreffen werden, zu skizzieren.

Aufgrund des ausgebauten Sozialstaats in der Schweiz sind Nachbarschafts- und Familienstrukturen immer mehr in den Hintergrund gerückt. Vergleiche mit anderen Staaten zeigen, dass mehr staatliche Unterstützungsstrukturen und mehr Wohlstand dazu führen, dass es weniger informelle Strukturen wie zum Beispiel die Familie gibt und braucht. Die aktuelle Krise zeigt eindrücklich auf, dass im Fall eines Notfalls solche solidarischen, informellen Hilfsnetze wieder eingerichtet werden. Die vielzitierte soziale Kohäsion, also der gesellschaftliche Zusammenhalt, tritt wieder vermehrt in den Vordergrund. Allerdings stellt sich hier bereits die Frage, wie lange diese Solidarität anhalten wird und wie gross diese wirklich ist.

Wieso diese Solidarität so schnell funktioniert, könnte verschiedene Gründe haben. Werden die Menschen solidarischer, weil sie unmittelbar betroffen sein könnten? Sind die Menschen solidarischer als sie dies im «normalen» Alltag in der Schweiz sind? Haben die Menschen, weil sie weniger arbeiten müssen, plötzlich mehr Zeit? Auf jeden Fall hat es mich beeindruckt, wie viel solidarischer mir die Menschen plötzlich erschienen. Die angesprochene Frage bleibt: Wie nachhaltig ist diese Veränderung? Was wird nach der Aufhebung der aktuellen Massnahmen von diesem Engagement übrigbleiben? Meine Befürchtung ist: nicht allzu viel. Meine Hoffnung ist, dass die Stimmbürger*innen in Zukunft bei ihren sozialpolitischen Entscheidungen eine solche Pandemiesituation mitdenken und ihnen somit Ideen zu Grundsicherung der Bevölkerung, wie zum Beispiel eine nationale Harmonisierung der Sozialhilfe oder ein gesichertes Grundeinkommen für alle, weniger fremd sein werden. Für mich bleibt ein Funken Hoffnung, dass die Corona-Pandemie langfristig doch eine positive Wirkung für unsere Gesellschaft haben wird.

Welche Hoffnungen und Wünsche habt ihr für zukünftigen Veränderungen? Was müsste getan werden, damit die aktuellen Veränderungen nachhaltig wirken? Ich würde mich über Kommentare und Ideen an t.bockstaller@avenirsocial.ch freuen.

Ich wünsche Euch weiterhin gutes Durchhalten und hoffe, ihr bleibt alle gesund!

Tobias

Corona: unsere Chancen und meine Forderungen 24.03.2020

Seit dem 13.03.2020 um 15:30 Uhr ist die Schweiz nicht mehr das, was sie bis um 15:29 Uhr noch war. Seither berichten die Medien über die abstürzende Wirtschaft, die angespannte Lage in den Spitälern und Hamsterkäufe von verunsicherten Menschen. Aber...

Seit dem 13.03.2020 um 15:30 Uhr ist die Schweiz nicht mehr das, was sie bis um 15:29 Uhr noch war. Seither berichten die Medien über die abstürzende Wirtschaft, die angespannte Lage in den Spitälern und Hamsterkäufe von verunsicherten Menschen. Aber was Corona für die Soziale Arbeit bedeutet, darüber haben die Medien bisher kaum etwas publiziert. So viel sei jetzt schon gesagt: Das Coronavirus bringt eine Krise, aber für die Soziale Arbeit auch ganz viele Chancen mit sich.

In meinem Herzen macht es mich hässig, dass die Soziale Arbeit in dieser Krise bislang unbeachtet bleibt. Die Regierung hat zu allererst an die Wirtschaft und dann an die Arbeitnehmenden und die Selbständigen gedacht. Ein Hilfsangebot für Menschen, die schon vor dem Coronavirus in prekären Verhältnissen lebten, diese Menschen wurde einfach vergessen. Was ist mit den Asylsuchenden in den Asylzentren, mit den Heimen für Menschen mit Behinderung und den Institutionen für Kinder und Jugendliche? Wie schützt man Sexarbeiter*innen, Demenzkranke und psychisch instabile Menschen? Wie fährt man mit Asylgesuchen, Kindes- und Erwachsenenschutzabklärungen und den diversen Beratungsstellen fort? Die Antworten dazu habe ich auch nicht, aber von der Regierung wäre zumindest eine Stellungnahme oder wenigstens eine Erwähnung angemessen. Auch wurde bisher (soweit mir bekannt ist) nicht über die Mehrarbeit und die Kosten der Sozialen Arbeit gesprochen, das werden dann äuä die Gemeinden und Kantone regeln müssen.

Aber ich erkenne in dieser Krise auch die Chancen für neuen Mut und Veränderungen. Wir können nämlich nun endlich ohne vorgehaltene Hand über die Armut sprechen, weil sie offensichtlich (eben doch und urplötzlich) alle treffen kann. Ich hoffe, dass sich das Schamgefühl für eine Anmeldung beim Sozialdienst reduziert und die Gesellschaft einen offenen und wertschätzenden Umgang mit der Sozialhilfe und deren betroffenen Menschen findet.

Auch wenn die Sozialversicherungen in dieser Zeit viel tragen, füllen sie nicht jede Lücke mit Arbeitslosentaggeld. Unser Staat hatte bisher viel „Mut zur Lücke“, respektive hat er diese Lücken in den letzten Jahren bewusst vergrössert. Damit soll und muss Schluss sein, wer arbeitet, egal wie viel und angestellt oder selbständig, soll auch ausreichend versichert sein. Für mich gibt es neue Hoffnung, dass ein fixes Grundeinkommen für alle auf politischer Ebenen neu diskutiert und angegangen wird.

Corona fordert aber nicht nur die Existenzsicherung heraus, sondern auch die Soziale Arbeit an sich. Die Belastung der Sozialarbeitenden in den Sozialdiensten war schon vor der Corona-Krise hoch. Im Regelfall wird (in der Deutschschweiz) je Stellenprozent ein Dossier geführt, unabhängig davon wie viele Menschen und welche Fallsituation das Dossier mit sich bringt. Das Coronavirus bringt neue Fallsituationen und damit auch deutlich mehr Arbeit in der Abklärung und Beratung. Wer Sozialhilfe bezieht, hat ein Recht auf finanzielle und beratende Unterstützung. Die zunehmende administrative Arbeit drängt aber die persönliche Beratung an den Rand. Allem gerecht werden, könnte die Soziale Arbeit wohl dann, wenn die Dossierzahlen gesenkt und die personellen Ressourcen erhöht werden.

Auch wenn in der Regierung für dieses Anliegen nur wenig Gehör übrig ist, eine intensive Beratung und Zusammenarbeit mit der Klientschaft bringt längerfristig Stabilität bei jedem Einzelnen und jeder Einzelnen und auch in der Gesellschaft.

Die Administration in den Sozialdiensten ist ebenfalls eine Problematik, die endlich durch das Coronavirus deutlich wird. Viele Sozialdienste sind bei der IT-Entwicklung stecken geblieben, woran das liegt kann ich nicht beurteilen. Doch weiss ich es sehr zu schätzen, dass meine arbeitgebende Gemeinde ein fortschrittliches System führt. So, dass wir alle von zu Hause auch arbeiten können. Wir haben sogar einen virtuellen Pausenraum in dem wir uns jeden Arbeitstag zur selben Zeit „treffen“ können. Für die Klient*innen sind wir per Mail und Telefonumleitung erreichbar, die Beratung ist also trotz Isolation möglich. Ich selbst war nie eine Freundin der Technik, aber das Coronavirus verändert die Menschen (hoffe ich zumindest) und nimmt mir die Angst vor dem neuen digitalen Zeugs.

Trotz Technik wird die Soziale Arbeit physisch nie verschwinden, weil die Gespräche zur Neuaufnahme (Intake) und die Erstgespräche müssen (sollten) zwingend persönlich geführt werden. Da gibt es einfach viel zu viele Fragen und Abklärungen von Dokumenten. Zudem ist für eine professionelle Zusammenarbeit unumgänglich, dass sich die Sozialarbeitenden und Klient*innen persönlich kennenlernen.

Es gäbe an dieser Stelle zu Corona und Soziale Arbeit noch so viel zu erzählen, zu kritisieren und zu fordern. Deshalb mache ich hier eine persönliche, mir am Herzen liegende Ermutigung: Liebe Berufskolleginnen und Berufskollegen, helft nicht nur den betroffenen und bedürftigen Menschen, sondern kämpft auch für eure Anliegen, damit wir unsere Arbeit noch besser machen können!

Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr aus eurer Corona-Arbeitssituation erzählt, eure Blog-Texte empfange ich gerne auf blog@avenirsocial.ch. Dankeschön!

Von zuhause grüsse ich euch ganz herzlich!

Erika

Aufräumen (nicht so) einfach gemacht 02.03.2020

Es gibt Menschen, die behaupten, ich sei die Ordnung in Person. Dort wo ich lebe und arbeite hat alles seinen festen Platz. Ähnlich ist es auch in meinem Kopf und Herzen, meine Erfahrungen und Erinnerungen sind wie in einem Setzkasten...

Es gibt Menschen, die behaupten, ich sei die Ordnung in Person. Dort wo ich lebe und arbeite hat alles seinen festen Platz. Ähnlich ist es auch in meinem Kopf und Herzen, meine Erfahrungen und Erinnerungen sind wie in einem Setzkasten aufgeräumt. Wenn ich eine Unordnung erkenne, dann muss ich mich immer zusammenreissen, nicht gleich mit dem Aufräumen zu beginnen.

Mein Bedürfnis nach Ordnung im Zusammenhang mit meiner täglichen Sozialen Arbeit ist irgendwie ein Widerspruch, wenn man denkt, dass ich da so manchem Menschen begegne, dessen Leben gerade von einem Wirbelsturm heimgesucht wird.

Die KlientInnen gehen voneinen Termin zum nächsten, währenddessen häufen sich im Portemonnaie unzählige Terminkärtchen, Quittungen und Fahrtickets. Wenn die KlientInnen nach dem Beratungsgespräch ein weiteres Visitenkärtli in den vollgestopften Geldbeutel (ohne Geld) stecken, dann würde ich den am liebsten einfach „hurti“ aufräumen.

Doch das Portemonnaie ist schnell vergessen, wenn mir die KlientInnen von ihrem Briefkasten, den sie seit Wochen nicht mehr geöffnet haben, erzählen. Dann kribbelt es mir richtig heftig in meinen aufräumwilligen Fingern.

Oft ist er mir in dieser Situation schon passiert, dass ich sagte: „Bringet eifach aues zum nächste Termin mit u de rume mir zämä uf.“

Am nächsten Gespräch sitze ich dann einem Menschen mit Papiersäcken voller Post gegenüber. In dieser Gesprächsstunde „vertörlen“ wir uns mit dem Papierkram. Ich mache das gerne und meine KlientInnen entladen sich einer wortwörtlich schweren Last. Selbstverständlich gebe ich dann auch gerne Tipps wie etwa, einen Ordner und Register kaufen, alle Post öffnen, einsortieren und dann den Ordner zum Gespräch mitbringen. Aber in unserem Leben kann leider nicht alles in einem Ordnungssystem versorgt werden. Es gibt neben der offensichtlichen Unordnung, manchmal auch Durcheinander, die im ersten Moment nicht sichtbar sind.

 

Aufräumen im Kopf und Herzen braucht Fingerspitzengefühl

Mit der Unordnung im Kopf und Herzen ist es nicht ganz so einfach, wie mit dem Briefkasten und dem Portemonnaie. Denn da sammelt sich nicht nur über Wochen, sondern über Jahre irgendwelcher „Grümpel“ an, den wir meistens nicht mehr so schnell loswerden. Für die Menschen in meiner Beratung wurde dieser „Grümpel“ oft zu einer so grossen Belastung, an der sie fast zerbrechen. In diesen Bereichen mit meinen KlientInnen aufzuräumen, ist harte „Knochenarbeit“ nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Sozialarbeitenden. Es sind Fingerspitzengefühl, Empathie, Beziehungsarbeit, Geduld und viel persönliche (Berufs-)Erfahrung gefragt. Wir alle haben irgendwo im Kopf und Herzen unserer unaufgeräumten Ecken und wer lässt sich da schon gerne reinreden, was nun wie sortiert und entsorgt werden soll?

Egal, ob Briefkasten oder Erinnerungen und Erfahrungen, die wir selbst oder mit unseren Klienten und Klientinnen aufräumen – Ordnung schaffen ist immer anstrengend. Das Ergebnis nach erfolgreicher Arbeit ist aber für die Betroffenen und für die Sozialarbeitenden eine grosse Erleichterung. Wer aufräumt, kommt zu Klarheit und zu einem neuen Durchblick, es können Sachen weggeschafft werden, die belasten und es wird Platz für Neues frei. Vielleicht entdeckt man auch etwas, das man lange versteckte oder sich nicht mehr daran erinnern konnte. Das kann eine vergessene Leidenschaft für eine besondere Fähigkeit oder ein verdrängter Wunsch oder Traum sein.

Und genau dieser neu gewonnene Platz ist für mich das Schönste am Aufräumen. Deshalb ist mir die Ordnung auch so wichtig. Wenn alles an seinem Platz steht und das alte, unbrauchbare „nadisnah“ entsorgt und entrümpelt wird, dann bleibt immer genügend Raum, um sich selbst neu zu entdecken.

Ich wünsche euch viel Freude im Aufräumen und Entdecken!

 

Herzlich eure Bloggerin

Zu Besuch bei benevol Bern 20.01.2020

Im Blog vom 11.11.2019 schrieb ich über Freiwilligenarbeit. Auf diesen Blog hin hat sich benevol Bern bei mir gemeldet. Ich wollte gleich erfahren, ob mein Blog Inhalt mit dem Wissen einer Fachperson aus dem Bereich Freiwilligenarbeit übereinstimmt, und habe Doris...

Im Blog vom 11.11.2019 schrieb ich über Freiwilligenarbeit. Auf diesen Blog hin hat sich benevol Bern bei mir gemeldet. Ich wollte gleich erfahren, ob mein Blog Inhalt mit dem Wissen einer Fachperson aus dem Bereich Freiwilligenarbeit übereinstimmt, und habe Doris Widmer, die Geschäftsleiterin besucht.

benevol Bern ist eine Fachstelle, die Freiwillige vermittelt und Einsatzorganisationen in ihrer Freiwilligenkoordination unterstützt. Wobei Doris nicht gerne von Freiwilligenarbeit spricht, sie nennt es lieber «freiwilliges Engagement, das von Herzen und von der Person selbst kommt». Der Begriff «Arbeit» steht meistens mit Lohn und Verpflichtung in Verbindung und sei somit für die Freiwilligkeit unpassend. Wobei auch das freiwillige Engagement seine niederschwelligen Verpflichtungen hat. Bei benevol Bern ist es üblich, dass vor einer Vermittlung eines Freiwilligen, einer Freiwilligen erst ein paar Schnuppereinsätze erfolgen. Kommt es zu einer Passung, dann werden zwischen der ausführenden und nachfragenden Partei die genauen Einsatzzeiten und gegenseitigen Erwartungen vereinbart.

Freiwilliges Engagement ist kein «Plöischlen» es sind Aufgaben, die von jemandem gemacht werden müssen, für diese aber niemand bezahlen will oder kann. Im Allgemeinen ist Betreuung und Beziehung teuer, seit den steten Sparmassnahmen in diesen Bereichen nimmt im Besonderen die Nachfrage von freiwilligem Engagement in der Altersbetreuung zu.

 

Schutz der bezahlten Arbeit

Das heutige freiwillige Engagement betrifft zum Teil Aufgaben, die früher als bezahlte Arbeit verrichtet wurde. Auch ist bemerkenswert, dass längst nicht nur Menschen mit einer bezahlten Arbeit nebenbei noch freiwilliges Engagement leisten, sondern besonders häufig auch Menschen, die aktuell arbeitslos sind, z.B. Ausgesteuerte, IV-BezügerInnen. Doris erläutert, dass es selten zu einer Anstellung aus der Freiwilligentätigkeit komme, weil es eben Einsätze sind, die nicht mehr finanziert werden. Es ist wichtig, dass die unbezahlte Arbeit nicht die bezahlte Arbeit konkurrenziert. So gilt nach den benevol-Standards, dass das freiwillige Engagement 6 Stunden pro Woche nicht überschreiten sollte und nur Aufgaben ausgeführt werden, die im Regelfall nicht in bezahlter Arbeit  angeboten werden. Freiwilliges Engagement ist aber dennoch nicht unnütz für stellensuchende Personen.

Doris betont, dass im Lebenslauf das freiwillige Engagement direkt nach der Berufserfahrung genannt werden sollte, es ist kein Hobby sondern eben unbezahlte Arbeit, die unglaublich viele wichtige, qualifizierende Erfahrungen ermöglicht.

Für das freiwillige Engagement stellt die Einsatzorganisation das DOSSIER freiwillig engagiert aus, welches dann auch einer Bewerbung für den ersten Arbeitsmarkt beigelegt werden kann.

 

Unbezahlte Arbeit wird zu wenig wertgeschätzt

Freiwilliges Engagement wird auch zunehmend von und für Menschen geleistet, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Menschen mit Migrationshintergrund melden sich  häufig bei benevol Bern für unbezahlte Arbeit, aber da steht ihnen das Gesetz und ihr Aufenthaltsstatus im Weg. Doris bedauert diese Hürde sehr, weil auch diese Menschen einen eisernen Willen zeigen und etwas dem gesellschaftlichen Leben beisteuern möchten.

Doris stellt fest, dass die bezahlte Arbeit in der Gesellschaft immer noch mehr Wert hat als die unbezahlte Arbeit. Menschen, die keine bezahlte Arbeit finden und sich deshalb freiwillig engagieren, werden nicht gleich geschätzt wie jene Menschen, die gegen Lohn arbeiten.

Der Grund dazu sei einfach, meint Doris: «Das freiwillige Engagement ist offensichtlich nicht rentabel in der ökonomisierten Schweiz!». Doris wünscht sich für das freiwillige Engagement mehr Wertschätzung von der Gesellschaft.

Die abschliessenden Worte von Doris scheinen mir für die Soziale Arbeit besonders wichtig. Das freiwillige Engagement kann Menschen ohne Arbeit und/oder in schwierigen Lebenssituationen wieder neuen Mut geben und ein Gefühl der sozialen Zugehörigkeit.

Wer nun «gwunderig» geworden ist kann sich auf www.benevolbern.ch über Angebot und Nachfrage, wie auch über den Kompetenznachweis DOSSIER freiwillig engagiert und allenfalls noch offene Fragen informieren.

 

Herzlichen Dank an Doris, für die Zeit und den sehr anregenden Austausch.

 

Herzlich

Erika

Oh du fröhliche… 10.12.2019

Ich verstand Weihnachten bisher so, dass es ein Fest der Liebe ist, mit Ruhe und Besinnlichkeit. Dieses mag stimmen, solange wir in unserer eigenen, weihnachtlich geschmückten Stube sitzen. Es gibt aber auch ganz andere Weihnachten, das erfahre ich als Sozialarbeiterin...

Ich verstand Weihnachten bisher so, dass es ein Fest der Liebe ist, mit Ruhe und Besinnlichkeit. Dieses mag stimmen, solange wir in unserer eigenen, weihnachtlich geschmückten Stube sitzen. Es gibt aber auch ganz andere Weihnachten, das erfahre ich als Sozialarbeiterin täglich in meinem Berufsalltag.

 

Das Fest der Liebe, grenzt Menschen in Armut aus

Ich sitze Menschen gegenüber, die möchten das Fest der Liebe mit ihren wichtigsten Menschen feiern, aber genau diese Menschen sind auf der Flucht und/oder an unsicheren Aufenthaltsorten. Klar, nicht alle Angehörige sind irgendwo auf der Welt zerstreut, manchmal sind die Liebsten auch ganz nah, aber ein ungeklärter Streit trennt die Familienangehörigen. In beiden Fällen klingt das «Oh du fröhliche...» nicht nur falsch, sondern schlichtweg absurd.

Wer Weihnachten feiert, wünscht sich ein schönes Fest und eine besinnliche Adventszeit.

Doch können sich die Menschen in Armut den Konsum rund um Weihnachten kaum leisten. Die Armut geht im Übermass von Glitzer und «Oh du fröhliche...» viel zu schnell vergessen.

Es berührt mich alle Tage, wenn ich bei der Arbeit Menschen vor mir habe, die mich anflehen, dass ich ihnen doch eine Arbeit geben soll. Und ich weiss, dass manches Kind mit seinen Eltern über den schön geschmückten Weihnachtsmarkt geht und der Mama für eine Runde Rösslispiel oder für einen gluschtigen Grittibänz der Bazen fehlt.

Es macht mich nachdenklich und auch traurig, wenn ich in der Weihnachtszeit mit Geschichten konfrontiert werde, die von Gewalt in der Familie und Ausgrenzung in der Gesellschaft erzählen, in beiden Situationen kann der Grund sein, dass das Geld nicht reicht, weder für ein Geschenk noch für die offenen Rechnungen.

Mein grösster und einziger Wunsch für Weihnachten ist, mehr Ausgleich und Gerechtigkeit im Finanzhaushalt der Schweiz!

Geschenke müssen nicht immer viel kosten, das ist mir auch klar, aber manchmal ist es eben auch schön, was Gekauftes verschenken zu können. Ein Berufskollege hat einmal zu mir gesagt: «Nur die reichen Menschen können sich leisten, arm zu sein!» Damit meinte er, dass nur die Menschen, die «alles» haben sich Geschenke leisten können, die nichts kosten. Geschenke werden trotz verschiedensten «Anti-Geschenk-Bewegungen» immer noch an ihrem finanziellen Wert gemessen.

Apropos «Oh du fröhliche…» und Geschenke, vergesst nicht, euch selbst zu beschenken. Sich selbst etwas Gutes tun, für die erbrachte Mühe und den unermüdlichen Kampfgeist in allen Lebenssituationen.

 

Mein Geschenk ist dieses Jahr so einfach, dass es zu euch allen passt: «Es Truckli vou Liebi, verpackt iene Umarmig und verziert miteme härzliche Danke!» - Danke, dass ihr meinen Blog lest!

 

«Oh du fröhliche...» und alles Gute für das neue Jahr wünsche ich euch!

Erika

LGBTI-Personen: Nicht mehr länger schutzlos vor dem Gesetz! 25.11.2019

Gastbeitrag von Reto Wyss, Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB)   Damit die Schweiz die bereits 1965 von der UNO verabschiedete Rassendiskriminierungskonvention ratifizieren konnte, hat sie im Jahr 1995 endlich ihr Strafgesetzbuch revidiert und um den gemeinhin als "Rassismus-Strafnorm" bekannten Artikel...

Gastbeitrag von Reto Wyss, Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB)

 

Damit die Schweiz die bereits 1965 von der UNO verabschiedete Rassendiskriminierungskonvention ratifizieren konnte, hat sie im Jahr 1995 endlich ihr Strafgesetzbuch revidiert und um den gemeinhin als "Rassismus-Strafnorm" bekannten Artikel 261bis erweitert.

Nicht weniger im Verzug ist die Schweiz heute, was den rechtlichen Schutz von Lesben, Schwulen, Trans- und Interpersonen betrifft. So liegt sie in der europäischen Länderrangliste zur Situation von LGBTI-Personen auf dem beschämenden 27. Rang. Dies hat auch wesentlich damit zu tun, dass Diskriminierung und Aufruf zu Hass gegen LGBTI-Personen noch immer nicht rechtlich geahndet werden können.

Mit der Erweiterung der Strafnorm um das Kriterium der sexuellen Orientierung würde sich das zumindest für Lesben, Schwule und Bisexuelle endlich ändern (leider nicht für Trans- und Interpersonen, was schnellstmöglich nachgeholt werden muss). Nachdem aber reaktionäre Kreise erfolgreich das Referendum gegen diese vom Parlament mit grossem Mehr verabschiedete Gesetzesänderung ergriffen haben, entscheidet am 9. Februar die Bevölkerung darüber.

Diskriminierung findet dort statt, wo die Leute ihre Zeit verbringen, und deshalb allzu oft auch am Arbeitsplatz.

LGBTI-Personen sind davon besonders betroffen: So haben 70% der homosexuellen Arbeitnehmenden im Beruf in den letzten drei Jahren Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erlebt. Materiell ist diese wohl dann am einschneidendsten, wenn sie in der Verweigerung oder im Verlust des Arbeitsplatzes gipfelt. Die vom Parlament beschlossene Vorlage hätte darauf nun zumindest für schwule, lesbische und bisexuelle Arbeitnehmende klar eine Auswirkung, denn Arbeitsverträge fallen unter den Schutzbereich des revidierten Strafnorm-Artikels.

Von der technischen Anwendbarkeit dieses neuen Artikels abgesehen: Die Abstimmung am 9. Februar 2020 hat grosse Signalwirkung. Wollen wir eine Schweiz, in der alle ihren Platz haben und sich sicher und willkommen fühlen? Oder sehen wir weiter zu, wie einige wenige die Gesellschaft auf Kosten von Minderheiten spalten können? Ich hoffe, dass sich diese Frage für eine grosse Mehrheit gar nicht erst stellt. Für die Gewerkschaften ist klar: "Ja zum Schutz"!

Beim Komitee "Ja zum Schutz" können im Hinblick auf die Abstimmung gratis Regenbogenfahnen bestellt werden.

 

Freiwillig unbezahlbar! 11.11.2019

Unzählige Menschen engagieren sich und helfen mit, aber nicht alle Arbeit kann man auch sehen. In der Kinderbetreuung und Landwirtschaft, bei Vereinen und betagten Menschen gibt es eine Menge Arbeit, die getan wird, ohne bezahlt zu werden. Einen Teil dieser...

Unzählige Menschen engagieren sich und helfen mit, aber nicht alle Arbeit kann man auch sehen. In der Kinderbetreuung und Landwirtschaft, bei Vereinen und betagten Menschen gibt es eine Menge Arbeit, die getan wird, ohne bezahlt zu werden. Einen Teil dieser Freiwilligenarbeit übernehmen Menschen, die selbst in einer schwierigen Lebenssituation sind.

Keine Arbeit und kein Geld, heisst auch keine Tagesstruktur, Langeweile und Vereinsamung. Um dieser miesen Lebensspirale zu entkommen, organisieren sich viele Menschen, die in Not leben, selbst. Sie erhalten eine Sozialhilfe und müssen sich um Arbeit bemühen, da es aber «ihre» Arbeit nicht oder nicht mehr gibt übernehmen sie andere Aufgaben, ohne dafür bezahlt zu werden.

Ich weiss von alleinerziehenden Frauen, die sich gegenseitig die Kinder hüten, wenn die eine auf Abruf und Stundenweise zur Arbeit muss oder ein Vorstellungsgespräch hat. Mir sind Männer bekannt, die beim Landwirt nebenan im Stall bei den Tieren und auf dem Feld bei der Ernte mithelfen. Und ältere Menschen, die im 1. Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben, betreuen ihre Enkelkinder, damit deren Eltern zur Arbeit gehen können und keine teure Kinderbetreuung bezahlen müssen.

Die Freiwilligenarbeit ist bei Menschen, die Sozialhilfe erhalten verbreiteter als man denkt. Doch gibt es dafür vom Sozialamt, wenn überhaupt, nur geringe Wertschätzung und kaum Anerkennung. Nur wer seine Freiwilligenarbeit gut begründen kann erhält für seine Mühe eine Integrationszulage von Fr. 100.-. Und genau da «rege ig mi uf», freiwillige Arbeit ist unbezahlbar!

Neulich fragte mich eine Berufskollegin, ob ich nicht eine Organisation kenne, die eine Beschäftigung auf freiwilliger Basis für ihre Klientin anbieten würde. Die Betroffene ist noch nicht gesund und stark genug für den Druck im 1. Arbeitsmarkt, aber sie möchte trotzdem etwas Sinnvolles tun.

Ohne die Leistung von freiwilliger und unbezahlter Arbeit wäre unsere Gesellschaft nicht überlebensfähig. Wenn man aber bedenkt, dass viele freiwillige Arbeiten eigentlich die gleichen Aufgaben beinhalten, die andere Menschen ausführen und dafür einen Lohn erhalten, dann sollte man sich dem Wert der Freiwilligenarbeit bewusst werden.

Ich werde jetzt mal ganz aufmüpfig und mutig, und behaupte, dass die Wirtschaft und Gesellschaft von den Menschen in der Sozialhilfe, die freiwillig und unbezahlte Arbeit leisten, sogar profitiert oder gar nicht funktionieren könnte!

Nicht nur Tätigkeiten, die gewinnbringend und leistungsorientiert sind, dienen unserer kleinen Schweiz, sondern auch jede Stunde, in der jemand mit anpackt und andere unterstützt, ohne dafür eine finanzielle Entschädigung zu erhalten. Es wäre an der Zeit, dass die Sozialhilfe auch die freiwillige Arbeit als Arbeit anerkennt und sichtbar macht.

 

Herzlich und freiwillig für euch «gebloggt»

Erika

Blackout 21.10.2019

Volles Engagement, vollen Einsatz und volles Herzblut, alles zusammen tönt nach Sozialer Arbeit, doch manchmal wird genau das viel zu viel. Angestellte in Berufen der Sozialen Arbeit sind öfters von körperlicher und geistiger Erschöpfung betroffen als andere, das ist kein...

Volles Engagement, vollen Einsatz und volles Herzblut, alles zusammen tönt nach Sozialer Arbeit, doch manchmal wird genau das viel zu viel. Angestellte in Berufen der Sozialen Arbeit sind öfters von körperlicher und geistiger Erschöpfung betroffen als andere, das ist kein Geheimnis aber darüber sprechen tun wir trotzdem nicht.

In meinem Blog gibt es zum Glück keine Tabus und deshalb schweige ich auch nicht über das Thema Burnout. In Bezug auf die KlientInnenenarbeit haben wir viel und oft mit diesem Thema zu tun, zeigen Verständnis und versuchen die Betroffenen vor zu viel Druck zu schützen. Wenn es aber um uns selbst geht, überschlagen sich die Ratschläge und Selbstvorwürfe: «Muesch di abgränze, chli abefahre und d Arbeit mau la Arbeit si!»

Alles gut gemeint und nett, aber wenn es dich erwischt, dann steckst du mittendrin und das Aussteigen aus dem Hamsterrad wird von Tag zu Tag schwieriger. Diese Situation habe ich Anfang Sommer dieses Jahres auch erfahren. Während mehreren Monaten habe ich mich für die Abstimmung gegen die Sozialhilfekürzung engagiert, habe privat eine grosse Veränderung geplant, habe eine intensive Weiterbildung begonnen und auch noch bei der Arbeit neue Aufgaben übernommen. Ich habe in dieser Zeit bestimmte Ziele erreicht, die ich lange nicht für möglich gehalten habe. Doch irgendwann an einem Sommerabend im Juli war mein Feuer von der einen Minute auf die andere ausgelöscht.

Ich sass im Büro vor meinem Computer und wusste nicht mehr wie ich den farbig flimmernden Bildschirm ausschalten konnte - Ich hatte ein Blackout!

Was an diesem Abend tatsächlich passierte, das habe ich erst ein paar Wochen später realisiert. Ich habe versucht den Vorfall zu bagatellisieren und mir eingeredet, dass es Schlimmeres gibt und ich einfach nur müde war. Aufmerksamer als ich war meine Vorgesetzte, sie hat mich bereits am nächsten Tag auf den Vorfall angesprochen. In einem intensiven Gespräch hat sie mir aufgezeigt, was ich in den letzten Monaten geleistet und ausgehalten habe, das war mir bis dahin nicht wirklich bewusst. Bis zu meinen Sommerferien waren es nur noch ein paar Tage, mit dem Gefühl «eine Hand an der angezogenen Handbremse und einen Fuss auf dem herunter gedrückten Gaspedal» schaffte ich es bis zu meinem ersten Ferientag.

Meine Ferien habe ich mit sehr viel Schreiben und Reflektieren auf langen Spaziergängen durch fremde Städte, entlang von Stränden und Klippen verbracht. Immer wieder habe ich mir die Frage gestellt: «Wörum ig, wie het das nume chöne passiere? Isches würklich so schlimm gsi?»

Blöde Frage! Hätte mir ein Klient oder Klientin diese Erfahrung erzählt, ich hätte niemals daran gezweifelt! Aber bei mir selbst ist es irgendwie schwieriger, sollte ich nicht eigentlich die starke, vernünftige, reflektierte, bewusst lebende, organisierte und achtsame Sozialarbeiterin sein?! Und hier haben wir es schon wieder, die Ansprüche und Erwartungen an mich selbst. Ich wage zu behaupten, dass ich in der Sozialen Arbeit nicht die einzige bin, die an sich selbst viel höhere Erwartungen hat, als ich sie jemals an die KlientInnen stellen würde. Warum sind wir zu uns so streng?

Wir wollen Soziales und Gutes tun, aber die Welt retten können wir nicht! Auch dann nicht, wenn wir politisch aktiv sind, uns freiwillig in sozialen Nebenämtern engagieren und uns quasi rund um die Uhr für gesellschaftliche Themen einsetzen. Was wir aber tun können, ist zu uns selbst Sorge tragen, so dass wir für die Unterstützung unserer KlientInnen «gsund u zwäg» bleiben.

 

Reläxte Grüsse

Erika Kneubühl

 

Soziale Arbeit, immer anstrengend, oder was? 23.09.2019

Neulich an einem Samstagmorgen meinte meine Coiffeuse beim Haareschneiden nach dem sie mich nach meinem Beruf fragte: «Ouu das isch äuä ou no asträngend u nid immer eifach!?». Diese eine Frage lies mich das ganze Wochenende nicht mehr los. Die...

Neulich an einem Samstagmorgen meinte meine Coiffeuse beim Haareschneiden nach dem sie mich nach meinem Beruf fragte: «Ouu das isch äuä ou no asträngend u nid immer eifach!?». Diese eine Frage lies mich das ganze Wochenende nicht mehr los. Die darin verflochtene Annahme der Coiffeuse war eigentlich richtig, die Arbeit von Sozialarbeitenden ist anstrengend und nicht immer einfach!

Das ganze Wochenende grübelte ich über die Frage nach: Warum stelle ich mich tagtäglich den Problemen, Bedürfnissen und Herausforderungen von anderen Menschen? In meinem Berufsalltag geht es oft Drunter und Drüber. An manchen Tagen klingelt das Telefon unaufhörlich, die KlientInnen erscheinen nicht zum vereinbarten Termin und andere wollen «nume hurti» etwas am Schalter fragen, das dann aber doch viel länger dauert als gedacht. Ich höre zu und berate, ich organisiere, ich habe Verständnis, ich plane neu, ich reflektiere und dokumentiere und wenn nötig diskutiere ich mit meinen Vorgesetzten über Rechtliches, das ich aus fallmethodischen Gründen nicht umsetzen will. Ich schimpfe dann auch ab und zu über Mensch und System, und über die Soziale Arbeit, die anstrengend und nicht immer einfach ist.

 

Drunter und Drüber, aber anders

Am Montagmorgen nach meinem Coiffeurbesuch war mir klar, ich habe eine anstrengende und nicht einfache Arbeit. Ziemlich unmotiviert ging ich ins Büro und hoffte von den liegengebliebenen Pendenzen und dem blinkenden Telefonbeantworter nicht überrumpelt zu werden.

Der Blick in mein internes Postmäppli lässt mich den Atem anhalten, zwischen unzähligem Papierkram liegt ein Papier, das ich nicht oft in den Unterlagen finde. Es ist ein Arbeitsvertrag. Eine junge alleinerziehende Klientin hat am Freitag ihren Arbeitsvertrag abgegeben. Die Frau hat lange für eine Arbeit gekämpft, oft über mich und das Sozialsystem geschimpft und unzählige Jobabsagen entgegengenommen, die sie mit Tränen der Verzweiflung quittiert hatte. Nun endlich hat es doch geklappt!

Angekommen in meinem Büro, verblasst meine Freude rasch, bereits in der ersten Arbeitsstunde habe ich ein Gespräch mit einem sogenannt «arbeitsscheuen» Klienten. Der Mann sollte sich mit dem Bewerbungscoach auf Stellen bewerben, dies tut er jedoch, wenn dann, nur mit viel Gemotze und Widerwille. Im Gespräch will mir der Mann sofort etwas erzählen. Etwas verunsichert sagt er mir, er habe sich ohne Hilfe auf eine Stelle beworben und nun prompt eine Einladung zum Vorstellungsgespräch und Probearbeiten erhalten. Oh, damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich bin entsprechend stolz auf den jungen Mann und wünsche viel Erfolg für den nächsten beruflichen Schritt.

Nach diesem Gespräch bleibt nicht viel Zeit dem Erfolg nach zu träumen. Der nächste Klient wartet bereits am Empfang. Der Mann ist nervös, er weiss, welche Bemühungen ich von ihm erwarte. Auf mein Nachfragen wie es ihm geht und wo er gerade steht, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Der Mann erzählt mir von seiner Einsicht: Er hat nach all den Jahren auf der Berufs-Achterbahn endlich selbständig eine Psychotherapie begonnen. Die Gespräche in der Therapie «tüe no guet», in diesen Worten erläutert er kurz und knapp den bisherigen Therapieverlauf. Ohne Gesundheit keine langfristige berufliche Stabilität. Der Mann hat sein Problem angepackt, ich freue mich riesig.

Alleine im Büro muss ich schmunzeln, an diesem Arbeitstag geht auch alles Drunter und Drüber, aber eben anders herum. Es scheint, als möchten mir meine KlientInnen zeigen, dass meine Coiffeuse nur bedingt Recht hat. Soziale Arbeit ist zwar oft anstrengend und nicht immer einfach, aber wenn ich genau hinschaue und zuhöre erkenne ich die kleinen Fortschritte und Veränderungen, die schlussendlich dank Anstrengung und Umwegen zum Ziel führen. Und da wird mir klar, auch wenn ich mich ab und zu über Diverses ärgere und Notfälle bearbeiten muss, die über den Arbeitstag von 8.24 Stunden hinausgehen, ist der Beruf Sozialarbeiterin meine Lieblingsarbeit.

Soziale Arbeit ist anstrengend und nicht immer einfach, aber immer wieder erfolgreich!

 

 

Herzlich eure Bloggerin

Erika Kneubühl

Der Blog wiederspiegelt die persönlichen Haltungen der BeitragsautorInnen.