Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz

(Un-)Wörterbuch Soziale Arbeit

Unsere Antworten auf den populistischen Diskurs rund um die Soziale Arbeit

Warum braucht es ein (Un-)Wörterbuch?

AvenirSocial, der Berufsverband der Sozialen Arbeit Schweiz, hat ein klares Bild davon, was gemeint ist, wenn wir von Sozialer Arbeit sprechen¹. Wir merken aber immer wieder, dass Fachpersonen der Sozialen Arbeit in der Praxis mit unklaren Begriffen und den damit verknüpften Vorstellungen zur Sozialen Arbeit konfrontiert sind. Solche Begriffe existieren in der ganzen Breite der Sozialen Arbeit. Vom Gegenstand an sich über die Anforderungen an die Fachpersonen, Bedürfnissen von den Adressat*innen bis hin zu den Wirkungen des professionellen Handelns. Wir haben festgestellt, dass es vielen unserer Kolleg*innen schwerfällt, auf solche Begriffe und Äusserungen zu reagieren. Gleichzeitig merken wir auch, dass bei vielen Fachpersonen der Sozialen Arbeit die Lust da ist, sich an der Sensibilisierung zu Inhalt und Wirkung ihrer Profession zu beteiligen. An sie richtet sich dieses Wörterbuch.

Ziel des (Un-)Wörterbuchs Soziale Arbeit ist es, im Alltag verwendete, negative, verallgemeinernde und weitgehend faktenfreie Begriffe zur Sozialen Arbeit aufzunehmen, sie zu zerlegen und dagegen zu argumentieren.  Dies soll helfen, in der Konfrontation mit solchen Begrifflichkeiten, schlagfertige Antworten zu entwickeln². Die Wörter können einerseits neu geschaffene, unscharfe Begriffe wie zum Beispiel Schmarotzer*innen sein. Andererseits auch Begriffe, die in falschen Zusammenhängen oder ungenau verwendet werden, wie zum Beispiel der Sozialstaat.

Die Auswahl der Begriffe wurde gemeinsam mit Fachpersonen aus der Praxis vorgenommen. Es wurde keine systematische Sammlung erstellt und es sind somit nicht alle denkbaren Aussagen aufgeführt. Falls es Begriffe gibt, die im (Un-)Wörterbuch nicht erwähnt werden, aber erwähnt werden sollten, dann können diese an info@avenirsocial.ch gesendet werden. Aufgrund der grossen Unterschiede des Diskurses in der Deutsch- und der Westschweiz wird das (Un-)Wörterbuch nur auf Deutsch publiziert.

 

¹ Allerdings führen auch wir Diskussionen um den Gegenstand und die verschiedenen Handlungsfelder von Profession und Disziplin Sozialer Arbeit. Der Begriff Profession bedeutet für uns eine Gruppe von Menschen, mit einem Abschluss der höheren Berufsausbildung (was das für AvenirSocial genau heisst wird im Grundlagendokument zum Berufsbild (2014b) genauer ausgeführt) und die somit berechtigt sind im selben Gebiet beruflich tätig zu sein (Schmocker, 2011, S. 54). Die Profession der Sozialen Arbeit fördert als wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen, den sozialen Zusammenhalt und die Ermächtigung und Befreiung von Menschen. Im Unterschied dazu untersucht die Disziplin Soziale Arbeit die Entstehungs- und Veränderungsbedingungen für Lösungsprozesse (Schmocker, 2014, S. 1).

² Weiter empfehlen wir dazu das Wörterbuch der Verschleierung oder das Buch von Horaczek und Wiese (2017), «Gegen Vorurteile».

Zum Aufbau des (Un-)Wörterbuchs

Die Begriffe sind aufgeteilt auf drei Ebenen. Innerhalb der Ebenen sind sie alphabethisch aufgelistet. Neben den inhaltlichen Ausführungen im Fliesstext finden sich Hinweise auf Zeitungsartikel, Online-Kommentare, etc. als Beispiele, in denen die Begriffe eingesetzt und diskutiert werden. Die Links wurden gezielt aus den Suchergebnissen aus der Schweiz auf google.ch ausgewählt. Am Schluss jeder Beschreibung werden einige beispielhafte Antworten auf die Äusserung der Begriffe aufgezeigt. Die Fusszeilen befinden sich immer am Ende des Abschnitts, die Quellenangaben für alle Begriffe befinden sich zusammengefasst in einer eigenen Rubrik.

Definition der Ebenen

Makroebene: Begriffe auf dieser Ebene machen Aussagen zur Sozialen Arbeit generell oder zu einzelnen Handlungsfeldern Sozialer Arbeit (zum Beispiel zur Sozialhilfe). Sie beziehen sich auf das Funktionieren oder bestimmte Entwicklungen von Systemen.

Mesoebene: Wörter, die Bezug zu bestimmten Institutionen der Sozialen Arbeit (zum Beispiel zur Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde) und zu Arbeitsprozessen innerhalb von Organisationen der Sozialen Arbeit nehmen. Auf dieser Ebene ist der Einfluss von Begriffen aus dem Wirtschaftsbereich besonders ausgeprägt.

Mikroebene: Diese Ebene umfasst alle Begriffe zu Menschen in der Sozialen Arbeit. Hier wird unterschieden zwischen Fachpersonen der Sozialen Arbeit und Adressat*innen (-gruppen) der Sozialen Arbeit.

Bemerkungen zum gesellschaftlichen Kontext

In den aktuellen Diskussionen in der Deutschschweiz fallen zwei Arten von Diskursen auf, die Einfluss auf die Begriffe haben, die in Bezug auf die Soziale Arbeit verwendet werden. Dabei handelt es sich einerseits um den populistisch-konservativen Diskurs in politischen Kampagnen und andererseits um die Umgangssprache der Betriebswirtschaft, die sich auch in der Sozialen Arbeit immer weiter verbreitet.

Zur Rhetorik des populistischen Diskurses hielt Véréna Keller (2019) in ihrem Text zur Chronologie der Sozialhilfe fest: «Der Sozialhilfebezüger – ein Krimineller, ein Missbraucher, ein gehätschelter Faulenzer, der sich in der sozialen Hängematte räkelt und naive Gutmenschen an der Nase herumführt. Der Sozialhilfebezüger arbeitet nicht, er ist keiner von uns und kein richtiger Schweizer. Sozialhilfe muss wieder von Ehrenamtlichen mit gesundem Menschenverstand vor Ort erbracht werden. [So die Argumente aus dem populistischen Diskurs]. Fakten und Expert*innenwissen scheinen nicht mehr zu greifen. Einzelfälle werden aufgebauscht. Gerechtigkeit und Solidarität, Demokratie und Menschenrechte, ja Menschlichkeit, Respekt und Anstand erscheinen als verlorene Werte aus einer anderen Epoche» (S. 3).

Diese von konservativ-populistischen Parteien verwendete Sprache ist auch durch den betriebswirtschaftlichen Jargon beeinflusst. Allerdings werden viele der im Zuge der Neoliberalisierung¹ aufgekommenen Begriffe heute von vielen Akteuer*innen in der Sozialen Arbeit verwendet. Mechthild Seithe (2012) schreibt in ihrem «Schwarzbuch Soziale Arbeit»: «Soziale Arbeit wird seit etwa 1990 zunehmend als ‘Marktgeschehen’ betrachtet und den Gesetzen der Ökonomisierung unterworfen. Was im Klartext vor allem heisst, dass sie mit weniger Geld auszukommen hat, dass sie vor allem effizient zu sein hat, dass sie im Kontext von Marktgesetzen zu existieren und zu wirken hat» (Seithe, 2012, S. 17). Gemeinsam mit Handlungsstrategien aus dem New Public Management werden auch immer mehr und durch die Ökonomisierung geprägte Begriffe in der Sozialen Arbeit übernommen. Viele Begriffe in diesem Wörterbuch sind aus dieser Dynamik heraus entstanden und werden mittlerweile auch von Fachpersonen der Sozialen Arbeit alltäglich und oft unreflektiert verwendet. In der Praxis wirkt sich das New Public Management vor allem dahingehend aus, dass auch von Organisationen der Sozialen Arbeit verlangt wird, dass sie auf ihre «Wirtschaftlichkeit» achten und somit die Wirksamkeit ihrer Arbeit stärker evaluieren. Darüber, wie sich die Wirksamkeit der Sozialen Arbeit messen lässt, besteht allerdings kein Konsens.

Mehr Informationen und kritische Positionen zu New Public Management in der Sozialen Arbeit liefert zum Beispiel eine Broschüre der Kriso Zürich aus dem Jahr 2012.²

 

¹ Ausführungen zum Neoliberalismus finden sich zum Beispiel im «Wörterbuch der Sozialpolitik» von Carigiet, Mäder & Bonvin (2003, S. 214).

² Zugriff am 10.10.2019 auf https://www.kriso.ch/wp-content/uploads/kriso_npm_sa.pdf

Quellenangaben

AvenirSocial & VPOD (2018). NEIN zur willkürlichen Überwachung von Versicherten am 25. November 2018! Zugriff am 03.10.2019 auf https://avenirsocial.ch/wp-content/uploads/2018/12/Factsheet_25.11.2018_D_F_1.pdf

AvenirSocial (2018). Ausbildung und Beschäftigung in der Sozialen Arbeit in der Schweiz. Bern: AvenirSocial.

AvenirSocial (2017). Die nationale Kampagne von AvenirSocial: Eine Ausbildung bürgt für Qualität. Bern: AvenirSocial.

AvenirSocial (2014a). Sanktionen in der Sozialhilfe – Die Position von AvenirSocial. Bern: AvenirSocial.

AvenirSocial (2014b). Berufsbild der Professionellen Sozialer Arbeit. Bern: AvenirSocial.

AvenirSocial (2010). Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz. Bern: AvenirSocial.

AvenirSocial (2008). Armut ist das Problem, nicht die Sozialhilfe. Bern: AvenirSocial.

Biermann, K. & Haase, M. (2018). Das Wörterbuch der Verschleierung. Zugriff am 02.10.2019 auf https://www.zeit.de/kultur/2018-07/rhetorik-sprache-alexander-dobrindt-worterfindungen-woerterbuch?print

Brönnimann, G. (2018). Sozialschmarotzer: Warum wir uns von diesem Wort endgültig verabschieden sollten. Zugriff am 03.10.2019 auf https://tageswoche.ch/politik/das-spitzel-gesetz-macht-uns-zu-sozialschmarotzern/

Bundesamt für Sozialversicherungen, BSV. (2018). Sozialfirmen. Zugriff am 02.10.19 auf https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialpolitische-themen/soziale-absicherung/entreprises-sociales.html

Carigiet, E., Mäder, U. & Bonvin, J.-M. (Hrsg.) (2003). Wörterbuch der Sozialpolitik. Zürich: Rotpunktverlag.

Esping-Andersen, G. (1990). The three worlds of welfare capitalism. Cambridge, UK: Polity Press.

Feri, Y. (2017). Sozialabbau als Politik. Zugriff am 02.10.2019 auf https://armutinfo.ch/blog/2017/12/03/sozialabbau-als-politik-von-oswald-sigg-november-2017/

Gruber, Ch. (2014). Zum Konzept der Sozialwirtschaft. Zugriff am 02.10.2019 auf https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/324/540

Herzig, M. (2014). Was soll dieser Kampfbegriff? Zugriff am 24.10.2019 auf https://www.zeit.de/2014/43/sozialindustrie-schweiz-sozialwesen-kritik

Keller, V. (2019). Sozialhilfe Schweiz, Chronologie eines Umbaus. Vorstösse und Entscheide auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene seit 2000. Bern: AvenirSocial

Keller, V. (2017). Die nationale Kampagne von AvenirSocial: Eine Ausbildung in Sozialer Arbeit bürgt für Qualität. Bern: AvenirSocial

Kieser, U. & Senn, J. (2011). Invalidität, Alles über Renten, Rechte und Versicherungen. Zürich: Beobachter-Buchverlag. Axel Springer Schweiz AG.

Kleve, H. (2016). Von den Klischees zur Reflexion: Was ist Soziale Arbeit? Zugriff am 02.10.19 auf https://heikokleve.wordpress.com/2016/02/28/von-den-klischees-zur-reflexion-was-ist-soziale-arbeit/

Kriso (2012). New Public Management in der Sozialen Arbeit. Zürich: Kriso. Zugriff am 02.10.2019 auf https://www.kriso.ch/wp-content/uploads/kriso_npm_sa.pdf

Rieder, S., Bieri, O., Schwenkel, Ch., Hertig, V. & Amberg, H. (2016). Evaluation Kindes- und Erwachsenenschutzrecht. Luzern: Interface Politikstudien Forschung Beratung.

Schmocker, B. (2014). Notizen zur Geschichte der Sozialen Arbeit Schweiz. Zugriff am 11.02.2020 auf https://docplayer.org/8884131-Notizen-zur-geschichte-der-sozialen-arbeit-schweiz.html

Schmocker, B. (2011). Soziale Arbeit und ihre Ethik in der Praxis. Bern: AvenirSocial.

Seithe, M. (2012). Schwarzbuch Soziale Arbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Simon-Muscheid, K. & Huonker, T. (2011). Randgruppen. Historisches Lexikon der Schweiz (HLS). Zugriff am 14.04.2021 auf https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/015987/2011-12-16/

SVP des Kantons Zürich (2014). Gegen Kostenexzesse in der Sozialindustrie: Grundlagenpapier. Zugriff am 02.10.2019 auf https://ivinfo.files.wordpress.com/2014/10/grundlagenpapier_svp.pdf

SVP des Kantons Zürich (2015). Wer stoppt die Stasi-Behörde KESB? Zugriff am 02.10.19 auf https://www.svp-zuerich.ch/files/2015/01/150108-Referat-Heer.pdf

Staub-Bernasconi, S. (2019). Menschenwürde – Menschenrechte – Soziale Arbeit. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.

Tabin, J.-P., Piecek, M., Perrin, C. & Probst, I. (2019). Normalität neu denken. Sozialaktuell 11/2019. S. 7-9. Bern: AvenirSocial.

Tremp, U. (2016), Anschwellender Shitstorm. Zugriff am 02.10.19 auf https://www.curaviva.ch/files/GG848YD/fz_2016_oktober_stimmungsmache_kesb.pdf

Weber, M. (1919). Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München. Zugriff am 08.01.2020 auf http://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919

Wögerer, M. (2017). Leben mit Mindestsicherung: Tag 13 – Soziale Hängematte. Zugriff am 26.09.2019 auf https://neue-debatte.com/2017/05/14/leben-mit-mindestsicherung-tag-13-soziale-haengematte/

Makroebene

Der Sozialstaat

Häufig wird, auch in etablierten Medien, der Begriff Sozialstaat mit den Leistungen der Sozialhilfe gleichgesetzt. Sozialstaat umfasst begrifflich aber viel mehr. Es ist ein Oberbegriff für alle Systeme, die absichernd und/oder umverteilend wirken. Dazu gehören Krankenversicherungen genauso wie die Altersvorsorge und die Sozialhilfe (und viele mehr). Die Schweiz hat dem Modell von Esping-Anderson (1990) folgend einen liberalen Sozialstaat. Dies bedeutet unter anderem, dass Sozialstaatsleistungen in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern grundsätzlich wenig ausgeprägt und meist von einer Bedarfsprüfung abhängig sind. Daneben existieren auch private Angebote, die ohne Bedürftigkeitsprüfung funktionieren. Seit 1990 haben sich diese Merkmale des Sozialstaats in der Schweiz noch weiter ausgeprägt. Spricht man von dem Sozialstaat so geht man von einer zentralen Steuerung aus. Diese zentrale Zusammenarbeit findet in der Schweiz tatsächlich eher selten statt.

Aus Sicht der professionellen Sozialen Arbeit wäre eine engere und besser koordinierte Zusammenarbeit der verschiedenen Systeme der sozialen Sicherung in der Schweiz wünschenswert. Damit könnte zum Beispiel verhindert werden, dass sich die Sozialhilfe und die Invalidenversicherung gegenseitig die Fälle zuschieben, anstatt gemeinsam für eine möglichst gute Situation von Menschen mit sozialen Problemen zu sorgen. Dem stehen einerseits der ausgeprägte Föderalismus und andererseits die mangelnde Koordination und Ursachenorientierung im Weg. Wird der Begriff der Sozialstaat verwendet, sollte nachgefragt werden, was damit genau gemeint ist, und falls nötig aufgezeigt werden, dass es sich dabei um unterschiedliche Institutionen mit unterschiedlichen Funktionsweisen und Zielen handelt und keineswegs um ein orchestriertes Gebilde.

 

  • «Die wirtschaftliche Stärke eines Landes hat nichts mit dem Wohlstand einzelner Menschen zu tun. Die Schweiz hat eine der grössten Vermögensungleichheiten der Welt.»
  • «In der Schweiz schieben sich die verschiedenen Institutionen der Sozialen Sicherheit die Adressat*innen hin und her. Zum Beispiel benötigen Menschen, die keine IV mehr erhalten, oft Leistungen der Sozialhilfe.»
  • «Die einzige Institution in der Schweiz, die gegen soziale Ungleichheit wirkt, ist die AHV, weil alle erwerbstätigen Menschen den gleichen fixen Prozentsatz einzahlen.»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Einwanderung in die Sozialwerke

Der Begriff Sozialwerke umfasst alle Institutionen der sozialen Sicherheit. Diese sind in der Schweiz sehr unterschiedlich organisiert und verfolgen nicht immer die gleichen Ziele. So sind beispielsweise eine Krankenkasse und die Sozialhilfe als Institutionen nur schwer vergleichbar. Wird der seit 2009 regelmässig verwendete Ausdruck Einwanderung in die Sozialwerke verwendet, muss also immer zuerst geklärt werden, über welche Institution(en) gesprochen wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass in Stammtischdiskussionen meist die Sozialhilfe oder die Invalidenversicherung (IV) gemeint sind. Unabhängig davon, welche Institution mit Sozialwerk gemeint ist, das Argument der Einwanderung ist immer das Gleiche: Migrierte Menschen werden als Hauptproblem für die Verschuldung oder die hohen Kosten von Systemen betrachtet. Dabei werden andere Einflussfaktoren wie zum Beispiel die soziodemographische Entwicklung meist ausgeblendet. Auf ein entsprechendes Postulat der SVP aus dem Jahr 2014 antwortete der Bundesrat: «Die Gesamtbilanz der ausländischen Wohnbevölkerung aus dem EU-/Efta-Raum fällt für die Sozialwerke im jetzigen Zeitpunkt positiv aus. Insbesondere hochqualifizierte Arbeitskräfte zahlen im Durchschnitt mehr in die Sozialversicherungen ein, als sie Leistungen daraus beziehen» (siehe Beispiellink). Und genau so kann auch argumentiert werden, wenn man mit diesem Vorurteil konfrontiert wird. Aktuelle Zahlen zum Sozialhilfebezug in der Schweiz liefert das Bundesamt für Statistik.¹ Daraus können zum Beispiel folgende Argumente abgeleitet werden:

 

  • «Die Zahlen des Sozialhilfebezugs veränderten sich im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum in den letzten Jahren nur minim.»
  • «Aufgrund von Sparmassnahmen und Gesetzesrevisionen finden «Verlagerungen» von den RAV zur IV und von der IV zur Sozialhilfe statt. Diese trügen das Bild des Zuwachses.»
  • «Personen aus Drittstaaten dürfen oft nicht einfach so arbeiten und beziehen dann, um zu überleben, Sozialhilfe.»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

 

Kuscheljustiz!

Dieser Begriff beschreibt die generelle Haltung, dass zu wenig harte Strafen für Straftäter*innen ausgesprochen werden. Dies können alle Arten von Straftaten sein. Meistens ist damit eine bestimmte Praxis gemeint, wie zum Beispiel, dass eine straffällige Person eine Therapie macht, anstatt dass sie «nur» eingesperrt wird, und weniger die Gesetzgebung (zum Beispiel die generelle Erhöhung der Freiheitsstrafe für eine bestimmte Tat). Empörung kommt auch bezüglich der Kosten therapeutischer Massnahmen auf. Dabei wird häufig vergessen, dass das «Einsperren» einer Person auch sehr hohe Kosten verursacht. Es lohnt sich (auch finanziell) Menschen zu reintegrieren, anstatt sie einzusperren.

Der Begriff Kuscheljustiz und die damit einhergehende Haltung waren mitentscheidend, dass das Strafrecht seit einiger Zeit laufend verschärft wird. Die Fachpersonen der Sozialen Arbeit sind im Zusammenhang mit dem Umgang mit Straftaten vor allem dann involviert, wenn es darum geht, straffällige Personen wieder in die Gesellschaft zu integrieren: auf Jugendanwaltschaften, in der Bewährungshilfe und in Vollzugsanstalten als Agog*innen oder Betreuende. Dass die Wiedereingliederung in die Gesellschaft überhaupt versucht wird, wird als Ausdruck der Kuscheljustiz verstanden, im Gegensatz zum weiteren Einsperren einer Person. Somit werden am Stammtisch auch Fachpersonen Sozialer Arbeit als Teil der Kuscheljustiz und des Sozialwahnsinns betrachtet.

Meistens wird Kuscheljustiz nicht der Sozialen Arbeit direkt vorgeworfen. Allerdings werden verschiedene Methoden und Praktiken der Sozialen Arbeit als Massnahmen eben dieser Kuscheljustiz verstanden und sind somit, in den Augen der Menschen, die diese Haltung haben, nicht legitim. Argumentativ sollte bei Kuscheljustiz vor allem das subjektive Empfinden davon, was individuell unter harter Bestrafung verstanden wird, angesprochen werden.¹

 

  • «Mehr (scheinbare) Sicherheit geht nur auf Kosten der Freiheit. Zum Beispiel durch das Einsetzen von Überwachungskameras.»
  • «Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person rückfällig wird, ist weniger gross, wenn Resozialisierungsmassnahmen ergriffen werden.»
  • «Jede*r hat eine zweite Chance verdient und kann sich ändern.»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

 

¹ Es kann zusätzlich darauf hingewiesen werden, dass es zum Beispiel «im schweizerischen Jugendstrafrecht in erster Linie um den Schutz und die Erziehung der Jugendlichen geht. Deshalb werden sie häufig nicht im eigentlichen Sinne bestraft, sondern es werden erzieherische und/oder therapeutische Massnahmen angeordnet» (Zugriff am 15.10.19 auf https://www.ch.ch/de/jugendstrafrecht/).

Soziale Hängematte

Dieser Begriff stigmatisiert alle auf staatliche Hilfe Angewiesene pauschal als Faulpelze, die nur in der Hängematte liegen (Wögerer, 2017). «Der Sozialhilfebezüger – ein Krimineller, ein Missbraucher, ein gehätschelter Faulenzer, der sich in der sozialen Hängematte räkelt und naive Gutmenschen an der Nase herumführt. Der Sozialhilfebezüger arbeitet nicht, er ist keiner von uns und kein richtiger Schweizer» (Keller, 2019, S. 3). Schon vor mehr als 10 Jahren hielt AvenirSocial (2008) zum Thema Sozialhilfe fest: «In den letzten 15 Jahren rückte die Frage der Sozialhilfe in der Schweiz nach längerem Vergessen wieder mitten ins öffentliche Interesse. Es gibt kaum eine Zeitung oder Fernsehdebatte und schon gar keine Wahlkampagne ohne Beitrag zur Frage der Sozialhilfe. Ob Leserbriefschreiber*innen, Politiker*innen oder Steuerzahler*innen, alle wissen, dass die Sozialhilfe viel zu teuer und viel zu grosszügig ist, dass sie schlecht organisiert und ineffizient ist, Missbrauch geradezu fördert – und überhaupt: Wer wird schon wieder arbeiten wollen, wenn es sich in der sozialen Hängematte so bequem liegt?» (S. 1). Dieser Kampfbegriff hat vor allem zum Ziel, Menschen, die Leistungen wie Sozialhilfe beziehen, unabhängig davon ob sie überhaupt arbeiten können, möglichst schnell wieder in den Arbeitsmarkt zu «integrieren». Zwei Drittel der Sozialhilfebeziehenden sind aber entweder Kinder oder können aufgrund ihrer Lebenssituation nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Diesen Menschen vorzuwerfen, dass sie sich bewusst in die Sozialhilfe begeben, ist ein Widerspruch in sich selbst. Genau aus diesem Widerspruch heraus kommt der Begriff, und er unterstellt den Menschen, dass sie den Schritt in die Sozialhilfe einkalkulieren. In einer Hängematte muss man nichts tun und kann sich ausruhen. Dies entspricht mitnichten der Realität von Menschen in sozialen Notlagen.

Um diesen Begriff zu entkräften, sollten vor allem die Lebenswelten und -realitäten von Adressat*innen aufgezeigt werden. Aufgrund des starken Stigmas vor allem der Sozialhilfe, aber z.B. auch der IV erheben viele Menschen nicht Anspruch auf Unterstützungsleistungen, die ihnen zustehen würden.

 

  • «Eine alleinstehende sozialhilfebeziehende Person erhält rund 997 CHF für den alltäglichen Bedarf pro Monat. Könnten Sie von diesem Betrag leben?»
  • «Wer Sozialhilfe bezieht, muss alles von sich preisgeben und wird bei Verdacht auch noch observiert. Stellen Sie sich das mal vor!»
  • «Rund die Hälfte der Menschen, die Anspruch darauf hätten, beziehen keine Sozialhilfe – so gross ist die Scham!»
  • «Rund 2/3 der Sozialhilfebeziehenden können nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden (weil sie Kinder sind, Alleinerziehende, Working Poor oder aufgrund ihrer Lebensumstände nicht können).»
  • «Sozialdetektive sind ein Nullsummenspiel. Sie decken etwa die gleiche Summe auf, wie sie selber pro Jahr Kosten generieren.»¹

 

Beispiele für Begriffsverwendungen:

 

¹ Zugriff am 04.12.2019 auf https://www.woz.ch/-7efd

Sozialindustrie

Der Begriff Sozialindustrie ist ein neu geschaffener und politisch sowie moralisch aufgeladener Begriff. Es handelt sich dabei nicht um einen Fachbegriff aus der Sozialen Arbeit, sondern er stammt aus der Ecke des Boulevardjournalismus oder Positionierungspapieren politischer Parteien (z.B. SVP des Kantons Zürich, 2014). Der Ausdruck Sozialindustrie ist aus mehrfacher Sicht falsch und irreführend. Unter industrieller Produktion versteht man eine durch Profitorientierung geleitete, gesteigerte Mechanisierung und Automatisierung. Dem Sozialwesen wird durch die Verwendung des Begriffs Industrie unterstellt, es funktioniere gleich wie die industrielle Branche. Somit möchte es sich um jeden Preis selber erhalten, wenn möglich Profit generieren oder sogar expandieren. In der Sozialen Arbeit hingegen müssen für individuelle Bedürfnisse der Adressat*innen individuelle und massgeschneiderte Lösungen gefunden werden, welche keinen Profit generieren (Herzig, 2014, S. 1).

 

  • «In der Sozialen Arbeit gehen Prozesse nicht immer gerade von A nach B. In der Zusammenarbeit mit Menschen können sich Ziele und Wege immer wieder verändern.»
  • «Menschen sind unterschiedlich. Im Gegensatz zu Maschinen arbeiten sie nicht alle gleich.»
  • «Wollen wir auf Kosten von bedürftigen Menschen Profit generieren?»
  • «Auch die Soziale Arbeit kann effizient sein, sie generiert einen Output und hat erprobte Methoden, die hinter einem Vorgehen liegen.»
  • «Das Recht auf Hilfe in Notlagen ist in Artikel 12 der Bundesverfassung verankert: Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind.»¹

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

 

¹ Art. 12 BV (https://bv-art.ch/12)

Sozialtourismus

Der abschätzige Begriff Sozialtourismus bezeichnet die Gesamtheit der Umzüge von Personen an einen anderen Ort mit der Motivation dort mehr Sozialleistungen zu beziehen als am aktuellen Wohnort. Auf die Schweiz bezogen kann dies der Umzug in eine andere Gemeinde oder einen anderen Kanton meinen. Meist aber wird damit die Migration (von EU-Bürger*innen) in die Schweiz gemeint, die vor allem dadurch motiviert sein soll, dass das System der sozialen Sicherung in der Schweiz (in Europa) so gut sein soll und Sozialleistungen ohne grossen Aufwand bezogen werden könnten. Dieser Begriff wird im gesamten deutschsprachigen Raum verwendet und erhielt vor allem in Deutschland im Zusammenhang mit der Stimmungsmache gegen unerwünschte Einwander*innen viel Aufmerksamkeit. 2013 wurde der Begriff deshalb zum Unwort des Jahres gewählt. Die Jury hielt 2013 zu Sozialtourismus fest: «Das Grundwort „Tourismus“ suggeriert in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende Reisetätigkeit. Das Bestimmungswort „Sozial“ reduziert die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem zu profitieren. Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu»¹.

Eine zweite vom Duden festgehaltene Bedeutung verweist auf die «Bemühungen, besonders einkommensschwachen Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit einer Ferienreise zu bieten»². So gibt es in der Schweiz zum Beispiel auch eine Stiftung für Sozialtourismus³, die unter anderem für den Betrieb von Jugendherbergen zuständig ist.

Um Migrationsarten zu beschreiben können alternativ zum Beispiel Begriffe wie Armutsmigration oder Arbeitsmigration verwendet werden. Diese Begriffe verorten die Gründe für die Migration einer Person anstatt auf einer individuellen auf einer strukturellen Ebene. Sie geben einen Hinweis darauf, dass zur Verkleinerung von Migrationsbewegungen eine globale Umverteilung von Ressourcen nötig wäre.

 

  • «Die Beweggründe von Menschen zu migrieren sind vielfältig. Aber ist das «Profitieren» von staatlichen Sozialleistungen wirklich ein häufiger und wichtiger Migrationsgrund?»
  • «In der Schweiz ist der Bezug von sozialstaatlichen Leistungen mit einer Menge zusätzlichen Verpflichtungen verbunden. So müssen z.B. für den Bezug von Sozialhilfe alle Finanzflüsse (Einkommen, Rechnungen, Wohnungsmiete, etc.) offengelegt werden. Es kann also kaum als «einfach» beschrieben werden Sozialleistungen zu beziehen.»
  • «Als Menschenrechtsprofession ist es Aufgabe der Sozialen Arbeit, sich für eine Umverteilung der globalen Ressourcen einzusetzen. Sie kann somit einen Beitrag dazu leisten, dass weniger Menschen aus ökonomischer Not heraus zur Migration gezwungen werden.»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

 

¹ Zugriff am 09.11.2022 auf https://www.unwortdesjahres.net/unwort/das-unwort-seit-1991/2010-2019/ 
² Zugriff am 09.11.2022 auf https://www.duden.de/rechtschreibung/Sozialtourismus
³ Zugriff am 09.11.2022 auf https://www.youthhostel.ch/de/ueber-uns/personen-und-strukturen/

Sozialwahn/-irrsinn, Kostenexplosion

Die Begriffe Sozialwahnsinn, Sozialirrsinn und Kostenexplosion entstanden vor allem als Reaktion auf als zu teuer empfundene therapeutische Einzelmassnahmen (zum Beispiel die Fälle «Carlos» oder «Hagenbuch»). Sie beziehen sich dabei nicht auf die fachliche Angemessenheit der Massnahmen, sondern alleine auf den finanziellen Aufwand. Dies geht Hand in Hand mit der, in unserer Gesellschaft weit verbreiteten Ansicht, dass Menschen, die Unterstützungsleistungen beziehen, nicht mehr bekommen sollen als solche, die keine Unterstützungsleistungen erhalten. Während eine Person, die vermeintlich ein bisschen mehr bekommt, als Sozialschmarotzer*in stigmatisiert wird, sucht man bei teuren Unterstützungsleistungen die Schuld nicht beim Individuum, sondern beim Staat mit seinem Sozialwahnsinn/-irrsinn. Vergessen wird dabei, dass sozialer Wohlstand für alle auch Kosten mit sich bringt und dass wir uns dies als Gesellschaft auch leisten wollen. So kann breiter Wohlstand auch zu mehr wirtschaftlichem Erfolg führen. Die hohen Kosten lohnen sich also auf lange Sicht auch finanziell.

Bei den Massnahmen, die mit Sozialwahnsinn betitelt werden, muss es sich nicht zwingend um Leistungen der Sozialhilfe handeln. Es können dies zum Beispiel auch angeordnete Massnahmen der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), einer Psychiatrie oder des Strafvollzugs sein. Es lohnt sich, diesen Aussagen mit nackten Zahlen zu begegnen, indem zum Beispiel die gesamten Ausgaben für Massnahmen aufgezeigt werden. So hält zum Beispiel die Firma Interface in ihrer Evaluation des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts (Rieder et al., 2016) fest: «Die durchschnittlichen Kosten liegen schweizweit bei 25.10 Franken pro Einwohnerin und Einwohner» (S. 21). Mit den Verweisen auf die durchschnittlichen Kosten von Massnahmen kann der Blick weg vom Einzelfall hin zum System gelenkt werden. Aktuelle Zahlen zum Sozialhilfebezug in der Schweiz liefert das Bundesamt für Statistik¹. Aufgrund des Datenschutzes ist es für die involvierten Stellen und Fachpersonen oft zu Recht nicht möglich, öffentlich bezüglich der Wirkung von Massnahmen zu informieren. Dies führt zu weiterem Argwohn gegenüber gewissen Massnahmen.

 

  • «Die Ausgaben für Sozialhilfe machen ca. 1.5% der gesamten Ausgaben der Sozialen Sicherheit (IV, AHV, etc.) aus. Wie viel geben wir eigentlich für unser Militär aus?»
  • «Dem Schweizer Staat entgehen jedes Jahr rund zwanzig Milliarden Franken, weil Einkommen nicht deklariert und so Steuern hinterzogen werden. […]. In der Sozialhilfe geht es um Millionen. Oder genauer: um eine Million.»²

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

 

Mesoebene

Missbrauch

«In der aktuellen Sozialhilfedebatte, ja in der Sozialpolitik allgemein, wird der so genannte Missbrauch als Verstoss gesehen, der Rechtsfolgen und Strafe nach sich zieht. Das ist eine interessante Tatsache: Es ist nicht die Rede von Gesetzesübertretungen, von Delikten oder Betrug, wie das üblicherweise der Fall ist, wenn Menschen sich nicht an Regeln halten (ein Überfall wird als Verbrechen bezeichnet und nicht z.B. als Missbrauch der Überlegenheit durch Waffengewalt; ein Buchhalter, der eine Million veruntreut, begeht vorab Betrug und nicht Informationsmissbrauch). Der Begriff Missbrauch zeigt, dass es hier nicht um klare Rechte und Pflichten, nicht um Rechtssicherheit geht, sondern um Moral, um unscharfe Begriffe wie Treue und Glauben. Fast alles kann somit Missbrauch sein.

Der Begriff Missbrauch wird vor allem von grundsätzlichen Gegner*innen der Sozialhilfe benutzt und zwar erst seit Beginn der Krise der 1990er-Jahre und des Umbaus in den aktivierenden Staat. Missbrauch ist immer skandalisierend (AvenirSocial, 2014a, S. 3).

Zur Argumentation sollte vor allem auf die Ungenauigkeit des Begriffs hingewiesen und versucht werden herauszufinden, was das Gegenüber damit genau meint. Es kann zum Beispiel nachgefragt werden, warum eine reiche Person, die Steuergelder veruntreut, anders beurteilt wird als eine, die für Sozialhilfegelder falsche Angaben macht. Wir anerkennen, dass auch im Bereich der Sozialen Arbeit, ebenso wie zum Beispiel bei den Steuern, Betrug stattfindet. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Menschen sich besser verhalten, wenn sie Probleme haben oder sich um die Probleme anderer kümmern. Allerdings verhalten sie sich deswegen auch nicht schlechter oder schlimmer als andere. Generalverdacht ist somit in jeden Fall abzulehnen. Kontrollen von Personen müssen stattfinden und finden statt, sie müssen aber immer verhältnismässig sein.

 

  • «Missbrauch ist kein klar definierter Begriff, er wird in der Rechtsprechung nicht verwendet.»
  • «Sprechen Sie von Missbrauch, wenn jemand in der Steuererklärung einen Teil des Einkommens nicht deklariert?»
  • «Stossen Sie beim Ausfüllen der Steuererklärung manchmal auch an Ihre Grenzen? Dann stellen Sie sich mal vor, wie es ist, ein dreizehnseitiges Sozialhilfegesuch mit zwanzig Anhängen auszufüllen!»
  • «Auch in der Sozialen Arbeit passieren, so wie überall, Fehler. Aufgrund dieser aber alle unter Generalverdacht zu stellen, ist nicht richtig!»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Sozialwirtschaft

Sozialwirtschaft als Begriff existiert in Wirtschaftslexika bisher nicht, und in der Fachliteratur zur Sozialen Arbeit wird er erst seit den letzten zehn Jahren und mit recht unterschiedlichem Verständnis aufgeführt. Dem (betriebs-)wirtschaftlichen Denkansatz folgend, wird unter einem «sozialwirtschaftlichen Unternehmen» ein Unternehmen verstanden, in dem professionelle soziale Dienstleistungen erwerbsmäßig erstellt und somit in Geld bewertet werden. Sozialwirtschaft ist somit als Gesamtheit der sozialwirtschaftlichen Unternehmen zu definieren» (Gruber, 2014). Sozialwirtschaft hat sich als Begriff genauso wie viele andere Begriffe aus der Betriebswirtschaft seit den 1990 Jahren auch in der Sozialen Arbeit etabliert. Bezeichnet Sozialwirtschaft die Gesamtheit der sozialwirtschaftlichen Unternehmen, so wird ein einzelnes Unternehmen Sozialfirma genannt. Auch wenn es sich hier nicht wie bei anderen Begriffen um einen falschen oder verkürzt verwendeten Begriff handelt, muss er aus Sicht der Sozialen Arbeit trotzdem kritisch betrachtet werden. Die Schnittstelle zwischen sozialarbeiterischen und betriebswirtschaftlichen Konzepten erfordert immer einen hohen Grad an Selbstreflexion, damit die Handlungsprinzipien der Sozialen Arbeit eingehalten werden können. Darum hält AvenirSocial im Berufskodex (2010) fest: «Die Professionellen der Sozialen Arbeit unterziehen ihr methodisches Handeln einer steten fachlichen und moralischen Qualitätskontrolle» (Art. 10.5.). Wie auch beim Begriff Sozialindustrie sollte hier argumentiert werden, dass Soziale Arbeit nicht gleich funktioniert wie andere, wirtschaftliche Bereiche. In der Sozialen Arbeit müssen für individuelle Bedürfnisse der Adressat*innen individuelle und massgeschneiderte Lösungen gefunden werden, welche keinen Profit generieren.

 

  • «Wie können wirtschaftliche und soziale Ziele vereinbart werden? Geht das überhaupt? Welche Probleme könnten sich dabei ergeben?»
  • «Sozialarbeitende orientieren sich nicht primär an betriebswirtschaftlichen Ergebnissen.»
  • «In der Sozialen Arbeit muss man auch damit umgehen können, dass ein Prozess nicht nur vorwärts, sondern auch mal rückwärts geht. Dies lässt sich schwer mit betriebswirtschaftlichem Denken vereinbaren, dort geht es immer um eine Gewinnmaximierung.»
  • «Soziale Arbeit erzielt zwar keinen finanziellen Gewinn, dafür verbessert sie das Wohlbefinden der Adressat*innen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.»

 

 Beispiele für Begriffsverwendungen:

Stasi-Behörde! (KESB)

«Stasi ist das Akronym für Staatssicherheit, die Kurzformel für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in der DDR. Präventive Überwachung breiter Bevölkerungskreise und sogenannte Zersetzungsmaßnahmen für die kleinere Gruppe der ausgemachten Feinde waren ihre zentralen Methoden»¹. Eine Stasi-Behörde ist also eine Institution, die nach den gleichen Prinzipien funktioniert wie das MfS in der DDR. In der Schweiz wird dieser Begriff vor allem verwendet, um der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) unkorrektes Vorgehen vorzuwerfen (Vergleiche Link der SVP Zürich). Dieser Begriff ist Ausdruck für eine ausufernde Debatte nach der Professionalisierung der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde im Jahr 2012. Isolierte, medial diskutierte, spektakuläre Einzelfälle werden verwendet, um die gesamte Arbeit der KESB negativ darzustellen. Von allen Eltern, die froh und glücklich über die Hilfe und Zusammenarbeit sind, wird nicht gesprochen.

Viel eher als die KESB zu beschreiben, drückt der Begriff Stasi-Behörde aber generell weit verbreitete Staatsverdrossenheit und Aversionen gegen staatliche Behörden und die Fachpersonen, die für diese Behörden arbeiten, aus (vgl. Tremp 2016). Ausgehend davon ist die Verbindung der KESB mit einer weit bekannten Überwachungsbehörde naheliegend. Um dem entgegen zu wirken, kann darauf hingewiesen werden, dass professionelle Soziale Arbeit absolut notwendig ist, um die Arbeit der KESB wie gesetzlich festgelegt auszuführen (zum Beispiel mit den Zielen der Sozialen Arbeit im Berufskodex, 2010, Art. 5.). Bei der KESB handelt es sich um ein multidisziplinär zusammengesetztes Gremium, dass durch gesetzliche Vorgaben reguliert ist. Zur genaueren Erklärung der Funktionsweise der KESB empfehlen wir die Broschüren der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) in leicht verständlicher Sprache.²

 

  • «Früher beschlossen Laien über das Schicksal von ganzen Familien, mit der KESB wird dem einen Riegel geschoben.»
  • «Die KESB muss Kinder und Erwachsene beschützen. Die KESB will die Eltern nicht bestrafen.»
  • «Wenn Sie mit einem Entscheid der KESB nicht einverstanden sind, können Sie dem Gericht eine Beschwerde schreiben. Im Entscheid der KESB würde sogar stehen, welches Gericht zuständig ist.»
  • «Die Massnahmen der KESB sind möglichst wenig eingreifend und werden stufenweise verschärft. Genau diesem Vorgehen wird dann aber wiederum vorgeworfen, Teil der Kuscheljustiz zu sein.»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

 

Mikroebene

Alles Linke!

Die SVP des Kantons Zürich äusserte sich 2015 folgendermassen zu Sozialarbeitenden: «Das linke verfilzte Netzwerk aus Sozialarbeitern und Pädagogen, welche sich eine goldene Nase verdienen, stellen sich als Gutmenschen dar, welche vorgeben, den Menschen zum Guten zu verhelfen». Wie in diesem Fall durch die SVP Zürich wird Sozialarbeitenden häufig vorgeworfen, dass sie alle politisch links stehen würden.

Sozialarbeitende müssen sich im Rahmen ihrer Arbeit immer wieder mit sozialpolitischen Themen auseinandersetzen, da diese einen grossen Einfluss auf sie haben (zum Beispiel damit, wie viel Geld für welche Angebote zur Verfügung steht). Bereits die Auseinandersetzung mit solchen Themen wird zum Teil als politisch linke Haltung gelesen. Aus der Sicht von AvenirSocial ist es für Fachpersonen der Sozialen Arbeit im professionellen Handeln unabdingbar, sich mit sozialpolitischen Fragen auseinanderzusetzen. «Politik würde für uns also heissen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschliesst» (Max Weber, 1919, S. 36).

Der Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz (AvenirSocial, 2010) hält dazu fest: «Die Professionellen der Sozialen Arbeit setzen sich auch mit ihren staatsbürgerlichen Mitteln für eine soziale, demokratische Gesellschaft ein, die für Solidarität und die Wahrung der Menschenrechte, für Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aller Menschen und gegen Diskriminierung einsteht» (Art. 14.3.) (Für mehr Argumente zur Wichtigkeit von Menschenrechten und Menschenwürde für die Soziale Arbeit empfehlen wir das aktuelle Buch von Silvia Staub-Bernasconi (2019): «Menschenwürde – Menschenrechte – Soziale Arbeit»). Damit kann aufgezeigt werden, dass sich die Grundsätze professioneller Sozialer Arbeit nur schwer mit politischen Positionen vereinbaren lassen, die der Sozialen Arbeit das politische Mandat absprechen.

 

  • «Es gibt politische Parteien und Personen, die für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit einstehen. Zwischen Fachpersonen der Sozialen Arbeit und diesen Parteien und Personen gibt es eine klare Schnittmenge, da sich Fachpersonen aufgrund ihres Berufskodexes für das Gleiche einsetzen.»
  • «Die Soziale Arbeit hat ein politisches Mandat. Fachpersonen müssen sich immer auch auf einer gesellschaftlichen Ebene dafür einsetzen, dass Menschenrechte umgesetzt werden und der soziale Zusammenhalt verbessert wird.»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Brauchen keine Ausbildung!

«Diese Sozial-‘Fachleute’ sind das Problem! Ich habe 7 Jahre in einer sozialen Institution gearbeitet. Die beinahe krankhafte Selbstüberschätzung und Machthaberei dieser Papierli-Pädagogen ist schlicht erschreckend. Sie wissen nichts, glauben aber, alles zu wissen. Das macht sie unbelehrbar. Ich fragte mich oft, wer denen ihr rätselhaftes Selbstbewusstsein eingeimpft haben könnte. Natürlich gibt es auch in diesem Berufsstand Ausnahmen.»¹ AvenirSocial ist sich des Machtgefälles zwischen Fachpersonen und Adressat*innen der Sozialen Arbeit bewusst. Dieses gilt es in der Praxis ständig von neuem zu reflektieren. Genau diese Reflexionsfähigkeit wird unter anderem in der Ausbildung vermittelt.

Von aussen wahrgenommen kann das Machtgefälle wie folgt niederschlagen: «Viele meinen, Sozialarbeitende hielten sich für allwissend und allmächtig. Und das sei – angesichts ihrer wirklichen Möglichkeiten und des ihnen zugeschriebenen Status – einfach nur ein Witz. Denn eigentlich, so sehen es viele, wissen und können Sozialarbeitende auch nicht mehr als jeder andere. Warum die studieren müssen, ist vielen ein Rätsel». (Seithe, 2012, S. 31). Véréna Keller (2017) hält dazu in ihren Ausführungen zur Ausbildungskampagne von AvenirSocial fest: «Immer noch und zu oft wird Soziale Arbeit als eine Tätigkeit angesehen, die vorab Geduld, Empathie und Gutmütigkeit sowie ein grosses Herz und viel gesunden Menschenverstand erfordert. Mit einer solchen Sichtweise wird man quasi als Sozialarbeitende geboren – Frauen sind dafür ganz besonders geeignet» (S. 13). Dem ist aber mitnichten so. Sozialarbeitende brauchen berufsspezifische Kompetenzen, die während der Ausbildung zur Fachperson Sozialer Arbeit erlernen werden. Im Text von Véréna Keller (2017) wird ausführlich ausgeführt, was diese Kompetenzen alles umfassen².

 

  • «Engagieren Sie für den Bau einer Brücke auch jemanden ohne Ausbildung? Oder gehen sie auch zu einem Zahnarzt ohne Ausbildung?»
  • «Wenn ich Geduld, Empathie und Gutmütigkeit habe, weiss ich deshalb noch nichts über Sozialversicherungsrecht oder über Case Management!»
  • «Fehlende Ausbildung beeinträchtigt die Qualität, Verlässlichkeit und Wirksamkeit der Sozialen Arbeit. Dieser Umstand führt letztendlich auch zu einer Vergeudung öffentlicher Gelder.»
  • «Heute kommt man mit «gesundem Menschenverstand» und Empathie in der Sozialen Arbeit nicht mehr weit. Die Berufe der Sozialen Arbeit beruhen auf definierten Kompetenzen und gesichertem Wissen.»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Gutmenschen

In Online-Kommentaren, in denen über Fachpersonen der Sozialen Arbeit geschrieben wird, können Sätze gelesen werden wie: «Und es liegt an den Sozialarbeitern, die oft in Strickpullis herumlaufen und mit ihrer Bio-/Öko-verdrehten ‘Stimmt’s für alle?’-Art meinen, dass das Leben so läuft. Diese kranke Berufsgruppe und die heutige Jugend haben sich ‘gefunden’, und ich möchte mit keinem von beiden etwas zu tun haben.»¹ In ihrem «Schwarzbuch Soziale Arbeit hält Mechthild Seithe (2012) dazu fest: «Soziale Arbeit hat bei vielen Menschen den Ruf, zu weich, zu zimperlich zu sein, Skrupel zu haben, Menschen hart und konsequent anzupacken. Sozialarbeiter*innen gelten als naiv und gutgläubig. […] Soziale Arbeit ist eine pädagogische, keine ordnungspolitische Disziplin. Sie versucht, Menschen soweit zu begleiten und zu beraten, dass sie bereit sind, sich aus eigener Überzeugung heraus zu verändern und ihr Leben selber wieder in die Hand zu nehmen. Das Verstehen ist dabei eine wichtige Voraussetzung. Verstehen heißt aber nicht, alles gut zu heißen und alles zu entschuldigen» (S. 35). Kurz zusammengefasst kann also festgehalten werden, dass sozial nicht auf das Gute oder das Nette zu reduzieren ist, sondern es umfasst ebenso Streitpunkte und Uneinigkeit (vgl. Kleve, 2016). Um dieses Vorurteil zu entkräften, kann der konkrete Alltag als Fachperson der Sozialen Arbeit beschrieben und auf die Vorteile hingewiesen werden, die dabei ein positives Menschenbild hat. Schlussendlich kann die Bezeichnung Gutmenschen auch positiv verstanden werden, da man der Sozialen Arbeit ja auch nicht absprechen möchte, dass ihr Ziel ist, ‘Gutes’ zu tun.»

 

  • «Fachpersonen der Sozialen Arbeit sind im positiven Sinne Gutmenschen, mit der Profession der Sozialen Arbeit hat das aber nichts zu tun. Denn Fachpersonen der Sozialen Arbeit haben eine fundierte Ausbildung und stützen ihr Wissen auf erlernten Techniken und reflektierten Haltungen.»
  • «Der Unterschied zwischen Sozialarbeitenden und Gutmenschen ist, dass Sozialarbeitende über professionelles Know-how verfügen.»
  • «Fachpersonen der Sozialen Arbeit müssen in ihrem Alltag immer wieder Entscheidungen wie zum Beispiel Leistungskürzungen treffen, die nicht von allen Menschen als positiv empfunden werden.»
  • «Wie kann im Berufsalltag differenziert und adäquat interveniert werden, wenn ich von Anfang an davon ausgehe, dass die Adressat*innen mich und die Situation ausnutzen?»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Schokoladenjob

«Den ganzen Tag mit den Adressat*innen nur Spiele machen oder TV schauen, du hast schon einen Schokoladenjob!» (Dialekt: Schoggijob). Solche oder ähnliche Aussagen kennen viele Fachpersonen der Sozialen Arbeit. Wie dieser Begriff genau entstanden ist, lässt sich nur schwer herausfinden, er wird vor allem in der gesprochenen Sprache verwendet. Die Schokolade scheint als eine Referenz für das «süsse», einfache Leben verwendet zu werden. Dabei kann entweder der Inhalt der Arbeit oder auch eine Teilzeitanstellung gemeint sein. Auch kann damit angedeutet werden, dass es für einen Schokoladenjob keine Ausbildung und keine Praxiserfahrung braucht.

Um einen Job als einfach zu bezeichnen, muss er immer mit etwas verglichen werden. Damit ein Job zum Schokoladenjob wird, muss er zuerst mit einer Arbeit verglichen werden, die als kompliziert oder streng aufgrund der Aufgaben oder der zu leistenden Stunden bezeichnet wird. Noch verstärkt wird die Bezeichnung Schokoladenjob, wenn neben dem vermeintlich einfachen Inhalt eine subjektiv empfundene, verhältnismässig hohe Bezahlung dazukommt, also «leicht» verdientes Geld. Hier muss grundsätzlich hinterfragt werden, welche Aufgaben aus welchen Gründen als einfach oder schwer bezeichnet werden. So kann man zum Beispiel die Arbeit von Bauarbeiter*innen als körperlich anstrengend betrachten. Arbeit in einem Büro wird hingegen meist nicht als körperlich, sondern eher als geistig anstrengend eingeschätzt. Zusätzlich wird oft ausgeblendet, welche Rolle die individuelle Lebenssituation spielt, ob eine Arbeit einer Person leichter fällt oder nicht. Und es stellt sich die Grundsatzfrage, warum die Arbeit einer Person nicht leichtfallen sollte oder keinen Spass machen darf?

Studierende der Fachhochschule Westschweiz regen an, wie auf diesen Begriff reagiert werden könnte: «Wir argumentieren meistens damit, dass wir die Adressat*innen in ihrem Alltag unterstützen. Dies bedeutet, wir bieten Unterstützung in ihrer täglichen Pflege, Haushalt etc. an. Wir unterstützen sie aber auch darin, ihre Wünsche, Interessen und Ziele verwirklichen zu können, dazu kann auch ein Spiel spielen oder einen Film schauen gehören. Um dies zu ermöglichen, braucht man fachliches Wissen, welches man sich in einem Studium aneignen muss. Wichtig ist, dass man seine Arbeitsschritte immer fachlich begründen kann.»

 

  • «Nur weil die Arbeit Spass macht, bedeutet das nicht, dass man dafür keine Ausbildung braucht.»
  • «Welche Arbeit welchen Wert hat und was als streng und kompliziert gilt, wird von der Gesellschaft definiert und basiert nicht auf Fakten»
  • «Es ist eine individuelle Frage, welche Arbeit für welche Person schwer oder leicht ist und ist nicht alleine abhängig vom Inhalt oder den Arbeitsstunden».

 

Beispiele für Begriffsverwendung

Drückeberger*innen, Integrations- / Arbeitsverweigerer*innen

Hierbei handelt es sich um verschiedene, pauschalisierende Bezeichnungen für Menschen, die sich, nach Ansicht der Personen, die diese Begriffe verwenden, nicht an vorgegebene Strukturen der Gesellschaft halten oder sich gegen sie auflehnen. Diese Begriffe kennt man zum Beispiel aus Fragen rund um ausländische Staatsbürger*innen. Dabei wird diesen zum Beispiel vorgeworfen, dass sie sich nicht an lokale Gepflogenheiten anpassen wollen. Mit diesen Begriffen wird eine individuelle, negative bewertete Absicht für das Handeln vorgeworfen, es geht also um ein bewusstes Vorgehen. Einflüsse der Umwelt oder biographische Faktoren werden ausgeblendet. Die Rhetorik, die diesen Begriffen zu Grunde liegt, geht Hand in Hand mit der schrittweisen Einführung der Aktivierungspolitik seit den 1990 Jahren. «Die 2005 erfolgte Revision der SKOS-Richtlinien formalisierte den Paradigmenwechsel von ‹Welfare› zu ‹Workfare› im Sinne des Aktivierungsprinzips. Drei grundlegende Neuerungen wurden eingeführt: ein sogenanntes Anreizsystem, das auf Arbeitsintegration zielendes Verhalten finanziell belohnt; sogenannte Integrationsmassnahmen, die obligatorisch sein können, sowie differenziertere Sanktionen in Fällen, wo sich Sozialhilfebeziehende nicht an Vorgaben halten» (AvenirSocial, 2014a, S. 3). Bei diesen Schlagworten kann vor allem aufgezeigt werden, welche Faktoren, abgesehen von individuellem Verhalten, dazu beitragen können, dass sich eine Person nicht an die vorgegebenen Strukturen hält. Pauschalisierungen wie diese sind grundsätzlich – egal ob von Politiker*innen, Fachpersonen oder Adressat*innen verwendet – in der Zusammenarbeit nie zielführend.

 

  • «Welchen Stellenwert hat Arbeit für Sie? Warum ist Arbeit unterschiedlich viel wert?»
  • «Viele Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, möchten arbeiten. Sie finden aber keine Arbeit, da sie entweder zu krank, zu alt oder zu wenig gut ausgebildet sind – oder Kinder haben.»
  • «Denken Sie, dass sie mit einer diagnostizierten Depression noch gleich arbeiten könnten?»¹

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Randständige

Dieser Begriff wird neben Medien auch von Fachpersonen, Institutionen und der Forschung Sozialer Arbeit zum Teil unreflektiert verwendet. Eine randständige Person wird am Rande der Gesellschaft verortet. Allerdings definiert dieser Begriff nicht weiter, was diesen Rand ausmacht, er bleibt abhängig von den Vorstellungen der Mehrheit¹. Er definiert lediglich nur die Position einer Person und nicht die Gründe warum eine Person dort steht. Auf jeden Fall beschreibt er eine Abweichung von einer Norm, und zwar in eine von der Gesellschaft als negativ bewertete Richtung. Randständige können zum Beispiel Personen sein, die wenig Geld haben. Eine Person, die sehr viel Geld hat, ist jedoch theoretisch genauso weit von der Norm weg wie eine sehr arme Person. Allerdings gehen bei ihr keine Benachteiligungen mit ihrer Position einher. Sehr oft wird der Begriff in Bezug auf finanzielle Mittel einer Person verwendet, Randständige haben oft wenig Geld. Allerdings wird damit sehr stark auch ein äusseres Erscheinungsbild und ein bestimmtes Verhalten wie zum Beispiel das Aufsuchen öffentlicher Plätze oder eine Suchtproblematik verknüpft. Eine Person wird nur dann als randständig wahrgenommen, wenn sie neben den fehlenden Mitteln auch diesem Erscheinungsbild entspricht. Ursprünglich gingen mit der Bezeichnung Randständigkeit auch weniger gesellschaftliche Rechte einher. Während sich in rechtlicher Hinsicht viele Diskriminierungen aufgelöst haben, bleiben gesellschaftliche Marginalisierungen weiter bestehen. Der Begriff Randständige ist ein Ausdruck davon, dass einige Personengruppen trotz formal gleichen Rechten weiterhin als am Rande der Gesellschaft stehend wahrgenommen werden. Stigmatisierend wirkt dieser Begriff auch deshalb, da als Grund für die Position am Rand der Gesellschaft meist Selbstverschulden vermutet wird und dieser nicht als rein soziologische Beschreibung eines gesellschaftlichen Phänomens verwendet wird.

 

  • «Weshalb wird dieser Mensch als am Rande der Gesellschaft stehend eingeschätzt?»
  • «Warum befindet sich diese Person in ihrer aktuellen Lebenssituation, was hat alles beeinflusst, dass sie sich dort befindet?»
  • «Eine superreiche Person steht genauso am Rande der Gesellschaft. Warum wird sie nicht als randständig bezeichnet?»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

 

¹ Eine historische Definition des Begriffs (Simon-Muscheid, 2011) findet sich im Historischen Lexikon der Schweiz: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/015987/2011-12-16/

Renitente, Unkooperative

Diese Begriffe geben den Eindruck, dass es beim Bezug von Sozialleistungen im Sinne von Workfare um eine Zusammenarbeit geht. Dies ist in der Realität aber nur bedingt der Fall. Ausgeblendet wird dabei das Machtgefälle insbesondere in der Sozialhilfe, aber auch in anderen Bereichen der Sozialen Sicherheit. Es ist durchaus möglich, dass sich die betroffene Person und die Sozialarbeitenden gegenseitig als unkooperativ erleben, weil sich zum Beispiel die Zielvorstellungen oder der bevorzugte Weg zum Ziel unterscheiden. Der Kooperationswillen einer betroffenen Person wird aber einseitig von aussen (zum Beispiel auch von Sozialarbeitenden) definiert. Bei der Definition, ob jemand unkooperativ ist, wird oft zu wenig reflektiert, weshalb jemand nicht macht, was verlangt wird. Dabei kann es zum Beispiel auch passieren, dass die Person das Verlangte gar nicht versteht oder es nicht erreichen kann. Renitent stellt dabei eine Steigerung von unkooperativ dar und wird unter anderem von der Boulevardpresse gerne in Schlagzeilen verwendet. Der Berufskodex (2010) hält dazu fest: «Die Professionellen der Sozialen Arbeit achten […] darauf, durch reflektierte und zugleich kontrollierte empathische Zuwendung die Persönlichkeit und Not des oder der Anderen eingehend wahrzunehmen und sich gleichwohl gebührend abzugrenzen» (Art. 12.1.).

Des Weiteren ist es auch so, dass die Soziale Arbeit in unterschiedlichsten Institutionen tätig ist, auch weil die von der Gesetzgebung vorgeschrieben wird. So hat die Soziale Arbeit auch eine Erziehungs- und Disziplinierungsfunktion. Diese wollen und können sich nicht alle Menschen gefallen lassen.

 

  • «Krankenkassenprämien sind für alle Menschen gleich hoch. Wer also ein tiefes Einkommen hat, bezahlt gemessen an seinem Einkommen mehr als jemand mit hohem Einkommen.»
  • «Wer hat mehr Macht: die Person, die das Geld geben sollte, oder die, die es erhalten möchte?»
  • «Wie reagieren Sie, wenn Sie sich ungerecht behandelt fühlen?»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Scheininvalide

Das Wort Invalide wurde aus dem Französischen übernommen. Es bezeichnete ursprünglich Soldat*innen, die Aufgrund ihres Alters oder ihrer Verletzungen nicht mehr einsatzfähig waren, sprich «unzulässig». Auf Deutsch wurde es dann für eine Arbeitsunfähigkeit angewendet. Beim heute verwendeten Begriff Invalide handelt es sich um einen abwertenden Begriff, der aber weitgehend institutionalisiert ist (Tabin et al., 2019, S. 7). Bestes Beispiel dafür ist die gleichnamige Invalidenversicherung. Entsprechend wenig wird dieser Begriff in der Gesellschaft hinterfragt. Die Invalidenversicherung definiert Invalidität wie folgt: «Eine durch körperlichen, psychischen oder geistigen Gesundheitsschaden verursachte Erwerbsunfähigkeit bzw. Unfähigkeit, sich im bisherigen Aufgabenbereich (z. B. im Haushalt) zu betätigen.»¹ Wie invalide oder valid jemand ist, wird also stark über die Arbeitsfähigkeit dieser Person und damit den Grad der Invalidität definiert. Es handelt sich dabei also offensichtlich um eine von der Gesellschaft definierte Norm – mit einer klaren Grenze, die invalide und valid trennt. Menschen, die nicht als Invalide gelten und trotzdem Leistungen dafür beziehen, werden dabei von populistisch-konservativen Kreisen gerne als Scheininvalide bezeichnet. Die Diskussion um Scheininvalidität geht Hand in Hand mit der über Sozialversicherungs-Missbrauch. Natürlich muss in einem bedarfsorientierten Sozialstaat definiert werden, wer Anspruch auf Leistungen erhält und wer nicht. Trotzdem soll nicht vergessen werden, welche Macht die Sprache und dabei verwendete Begriffe haben. «Negativ konnotierte Begriffe wie «behindert», «invalide», «geschwächt» oder «hilflos» verleihen Menschen einen ab­wertenden Status und beschränken sie auf die Eigenschaft, unfähig zu sein» (Tabin et al., 2019, S. 9). Da es sich bei Invalidität um ein Fremdwort handelt, wird der stigmatisierende Charakter des Wortes im Alltag meist nicht erkannt. Eine entsprechende Sensibilisierung ist wichtig. Zudem ist die Definition, wer als Invalide bezeichnet wird, eine höchst politische Frage, die jederzeit verändert werden könnte. Ein Übersicht über Wörter, die an Stelle von negativ konnotierten verwendet werden können, bietet beispielsweise diese Broschüre von agile.ch zu diskriminierungsfreier Sprache.

 

  • «Das Wort Invalide schafft automatisch eine Hierarchie zwischen den Menschen als arbeitsfähig eingestuft werden und denen, die es nicht (mehr) sind.»
  • «Was bedeutet Arbeitsfähigkeit? Menschen, die als Invalide gelten, haben genauso viele Fähigkeiten. Ob diese als «Arbeitsfähigkeiten» gelten ist eine andere Frage.»
  • «Wieso bestimmt der Arbeitsmarkt welche Arbeit und welche Personen wertvoll sind und welche nicht? Sollte es nicht so eher so sein, dass die Personen definieren, wie der Arbeitsmarkt aussehen muss?»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Schmarotzer*innen

Diese Begriffe werden unter anderem von populistischen Politiker*innen verwendet, um darauf hinzuweisen, dass diese Personen gerne Sozialleistungen beziehen, auf Kosten anderer leben und das System ausnutzen. Schmarotzen wird häufig mit Regeln brechen/verletzen gleichgesetzt, dabei handelt es sich jedoch um unterschiedliche Sachen. Schmarotzer stammt als Begriff aus dem 19. Jahrhundert und wurde hauptsächlich von Antisemit*innen verwendet. So kam der Begriff dann auch zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland in der Gesellschaft an. Auch damals wurde der Begriff bereits für Personen benutzt, die Hilfe von der Allgemeinheit erhalten, dieser aber scheinbar nichts zurückgeben. In den 1990 Jahren wurde dieses Wort wieder in den politischen Mainstream aufgenommen (Brönnimann, 2018). Mittlerweile ist die Debatte sogar in der Gesetzgebung angekommen. AvenirSocial äusserte sich 2018 gemeinsam mit der Gewerkschaft VPOD zur später angenommenen Initiative zur Überwachung von Versicherten wie folgt: «Der Grundgedanke der vom Parlament ausgearbeiteten Gesetzesgrundlage ist eindeutig: jede Person, welche ihr Recht auf Sozialversicherungsbeiträge geltend macht, wird verdächtigt, dieses Recht auszunutzen. Jede Bezügerin, jeder Bezüger wird unter Generalverdacht gestellt. Wir wehren uns vehement gegen diese seit Jahren laufende politische und mediale Stigmatisierungskampagne!».

 

  • «Dass 50% der Menschen, die Anspruch auf Sozialhilfe hätten, diese nicht beziehen, zeigt: von der Sozialhilfe zu leben, ist ein grosses Stigma und hat viel auch mit Schamgefühlen zu tun!»
  • «Wie kann man der Gesellschaft etwas zurückgeben? Ist Lohnarbeit die einzige Möglichkeit?»
  • «Was denken Sie zum Kosten/Nutzen-Verhältnis von Sozialdetektiven? Denn Sozialdetektive sind ein Nullsummenspiel. Sie decken etwa die gleiche Summe auf, wie sie selber pro Jahr Kosten generieren.»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Selber schuld!

Ein häufig verwendeter Begriff, um die Verweigerung von Leistungen, zum Beispiel der Sozialhilfe oder der Arbeitslosenversicherung zu legitimieren. Während Selbstverschulden als rechtlicher Begriff in unterschiedlichen Gesetzgebungen genauer definiert ist, wird er im Alltag häufig ohne weitere Reflexion über mögliche Einflüsse auf das Verhalten verwendet. Viele Menschen gehen davon aus, dass in der Schweiz bezogen auf den Zugang zu Bildung und Arbeit grosse Chancengleichheit herrsche. Geht man von diesem Standpunkt aus, ist es einfach, das Nicht-Nutzen von Chancen als selbstverschuldet abzutun. Die Soziale Arbeit setzt sich mit individuellen und strukturellen Gründen von Ungleichheiten auseinander. Ein reines Selber-Schuld-Sein ist dabei gar nicht möglich, strukturelle Gegebenheiten haben immer einen Einfluss auf individuelles Handeln. «Systemische Soziale Arbeit als Profession befasst sich mit sozialen Problemen – sozialer Not und psychischem Leiden –, die sich aufgrund der Abhängigkeit der Menschen von sozialen Systemen, ihren Mitgliedern wie ihrer Struktur und Kultur ergeben» (Staub-Bernasconi, 2004).¹

Wird dieser Begriff in einer Diskussion geäussert, sollte also aufgezeigt werden, welche vom Individuum unabhängigen Faktoren (z.B. Gesetzgebungen, Vorgehen von Institutionen, etc.) zur aktuellen Situation, in der sich eine Person befindet, beitragen.

 

  • «Finden Sie der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern (20%) sei von den Frauen selber verschuldet? Die Analysen zeigen, dass nur ein ganz kleiner Teil der Ungleichheit individuell begründet werden kann, der grösste Teil sind strukturelle Ungleichheiten.»
  • «Dass jemand nicht arbeiten kann, kann unterschiedliche Gründe haben. Mit der gleichen Berechtigung wie das Argument, die Person passe sich nicht den Anforderungen an, kann gesagt werden, dass die Art, wie die Person arbeitet, vom Markt zu wenig anerkannt wird.»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

Sozialhilferentner*in / -abhängige*r

Der Begriff Sozialhilferentner*in suggeriert, dass es in der Sozialhilfe eine Rente gibt, was keineswegs der Fall ist.¹ Alle Anträge müssen immer wieder erneuert werden, und Unterstützungsentscheide sind befristet. Es kann also nicht von einer zeitlich unbefristeten, automatischen Rente gesprochen werden. Der Begriff wird meist dann gebraucht, wenn suggeriert werden soll, dass Personen kaum eine Chance haben, von der Sozialhilfe wegzukommen, also weder durch die Reintegration in den Arbeitsmarkt noch durch andere Leistungen der sozialen Sicherheit. Dies sind oft auch Menschen, wie zum Beispiel über 55-Jährige, in die kaum mehr investiert wird und die aufgegeben wurden. Allerdings wird der Begriff auch äusserst häufig bei jungen Erwachsenen verwendet. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Sozialhilfeabhängigen. Dieser Begriff ist grundsätzlich nicht falsch, da diese Personen zurzeit von den Leistungen der Sozialhilfe abhängig sind. Allerdings kommt er ursprünglich aus der Medizin. Damit wird Drogenabhängigkeit assoziiert und damit verbundene Vorurteile wie Krankheit, mangelnder Wille oder Schmutzigsein. Der Begriff Abhängige lässt sich hier vergleichen mit dem Begriff soziale Hängematte. In der sozialen Hängematte lässt es sich gut «abhängen», also Leistungen auf Kosten anderer beziehen, ohne selbst etwas dafür zu tun. Wichtig scheint es in diesem Zusammenhang aufzuzeigen, um welche Abhängigkeitsform es sich dabei handelt und warum jemand auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen ist.

 

  • «Der Bezug von Geldern der Sozialhilfe ist an Auflagen gebunden, die immer wieder neu ausgehandelt werden müssen.»
  • «Die Hälfte der Personen, die Sozialhilfe beziehen, brauchen die Leistungen nach einem Jahr nicht mehr.»
  • «Würden sie eine sozialhilfebeziehende Person einstellen?»

 

Beispiele für Begriffsverwendung:

 

¹ Die Funktionsweise der Sozialhilfe wird in der Charta Sozialhilfe Schweiz kurz und einfach erklärt. Zugriff am 16.12.2019 auf https://skos.ch/fileadmin/user_upload/skos_main/public/pdf/grundlagen_und_positionen/themendossiers/Broschuere-Sozialhilfe-kurzerklaert.pdf