Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz

Gehörlose ukrainische Flüchtende

Gehörlose ukrainische Flüchtende 28.09.2022

Blogbeitrag von Franziska Müller, Sozialarbeiterin bei der Beratung für Schwerhörige und Gehörlose in Zürich Ankunft und erste Beratungen Im März dieses Jahres wurden wir auf der Beratungsstelle in Zürich von gehörlosen ukrainischen Flüchtlingen fast überrannt. Durch die relativ grosse Gehörlosen-Gemeinschaft...

Blogbeitrag von Franziska Müller, Sozialarbeiterin bei der Beratung für Schwerhörige und Gehörlose in Zürich

Ankunft und erste Beratungen

Im März dieses Jahres wurden wir auf der Beratungsstelle in Zürich von gehörlosen ukrainischen Flüchtlingen fast überrannt. Durch die relativ grosse Gehörlosen-Gemeinschaft in Zürich hatten diese erfahren, dass in und um Zürich viele Gehörlose wohnen, es eine Schule für gehörlose Kinder gibt und dazu viele Angebote wie eben unsere Beratungsstelle.

So kam es, dass kurz nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine, ganze Grossfamilien oder Gemeinschaften von gehörlosen ukrainischen Personen bei uns in der Beratungsstelle standen und um Hilfe baten.

Sie kamen teils mit ihren eigenen Autos an, aber auch mit Bussen oder sie reisten mit dem Zug und fanden den Weg direkt vom Hauptbahnhof zu uns. Da wir noch keinerlei Infos hatten zum Aufenthalt, geschweige denn wo all diese Personen wohnen könnten, mussten wir spontan und schnell handeln.

In Zusammenarbeit mit mehreren Institutionen, die sich im Bereich für Gehörlose oder Schwerhörige einsetzen, haben wir zusätzliche Zeit investiert und beraten, vermittelt, teils begleitet und vor allem viel unterstützt bei administrativen Formalitäten. Die Verständigung war und ist schwierig, da neben der Gehörlosigkeit auch eine andere Gebärdensprache, die ukrainische Muttersprache und eine andere Schrift, sprich das kyrillische Alphabet benutzt wird. Mit der Hilfe von gehörlosen Mitarbeitenden, aber auch mit Übersetzungs-Apps, versuchten wir die Anliegen und Fragen so gut es geht zu beantworten.

Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachstellen

Ein sehr grosser Aufwand war und ist der Austausch mit den verschiedenen Fachstellen wie der Asylorganisation (AOZ), dem Staatssekretariat für Migration (SEM), dem Veterinäramt, den Gemeinden usw. Denn: wo sollten diese Personen wohnen? Dürfen Familien mit Grossmüttern, Tanten usw. zusammenbleiben? Was ist mit den Haustieren, die sie mitgenommen hatten? Können die gehörlosen Familien mit hörbehinderten Kindern in der Nähe der Schule wohnen, wo sie mit anderen gehörlosen Kindern zusammen sind? Wo erhalten die Personen Kleider, Essen, Kinderwagen, Spielzeug usw.?

Und wer organisiert und bezahlt die Gebärdensprach-Dolmetschenden, wenn gehörlose Flüchtende beim SEM befragt werden? Wer übernimmt die Kosten wenn jemand krank ist und Medikamente braucht, zum Arzt oder ins Spital muss?

All diese Fragen haben wir aufgenommen und nach bestem Wissen abgeklärt. Dabei mussten wir viel Sensibilisierungsarbeit leisten, was es für eine gelingende Kommunikation braucht, denn die Mitarbeitenden von Behörden und Fachstellen waren oft ahnungslos zum Thema Gehörlosigkeit und selber bereits überlastet.

Anfangs konnten einige Familien vorübergehend in einer Sporthalle wohnen und so unter sich bleiben. Oder sie wurden in Kirchgemeindehäusern und von Privaten aufgenommen. Die gehörlosen Geflüchteten schätzten das sehr, insbesondere weil sie sich in der Gebärdensprache und ihrer Kultur austauschen konnten.

Wir informierten in Einzelgesprächen, und in einem Vortrag für eine grosse Gruppe über verschiedene wichtige Themen wie Schutzstatus S, wie die Einteilung in die verschiedenen Wohngemeinden vor sich geht, warum die mitgebrachten Tiere beim Tierarzt gegen Tollwut geimpft werden müssen und anderes mehr. Von Seite der Flüchtenden bestand und besteht ein grosses Bedürfnis nach einer barrierefreien Kommunikation. So organisierten wir auch Gruppenanmeldungen mit Übersetzung in Gebärdensprache bei der Anmeldung im Bundesasylzentrum und beantworteten immer wieder viele Fragen.

Aktuelle Situation und weitere Schritte

Inzwischen sind die meisten Familien und Einzelpersonen untergebracht und beziehen Sozialhilfe. Krankenkassen- und andere Versicherungsfragen sind geklärt oder werden laufend aufgenommen. Neue Anliegen sind gewünschte Wohnortswechsel aus unterschiedlichsten Gründen, Unterstützung bei der Arbeitssuche oder Deutschunterricht in Gebärdensprache.

Vor einigen Monaten haben wir bei der Beratungsstelle eine regelmässige Ukraine-Sprechstunde eingerichtet, in der sich einmal wöchentlich für 3 Std. jemand Zeit nimmt und die Anliegen der Flüchtlinge annimmt. Weiterhin gibt es viele Fragen und Wünsche und wir beraten, vermitteln und erklären so gut es geht.

Dabei dürfen alle unsere anderen Klient*innen aber nicht zu kurz kommen und werden weiterhin wie gewohnt beraten – das ist manchmal eine grosse Herausforderung!

 

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