Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz

Internationale Soziale Arbeit und CoVid – Ein Blick über die Grenzen

Internationale Soziale Arbeit und CoVid – Ein Blick über die Grenzen 10.10.2021

Blogbeitrag von Priska Fleischlin, IFSW UN Commissioner (Freiwilligenmandat). In den vergangenen Monaten zeigten sich gesellschaftliche Spannungen, die für unsere Adressat*innen, aber auch für uns Sozialarbeitende sehr belastend sein können und sich direkt oder indirekt auf unsere Arbeit auswirken. Ich spreche...

Blogbeitrag von Priska Fleischlin, IFSW UN Commissioner (Freiwilligenmandat).

In den vergangenen Monaten zeigten sich gesellschaftliche Spannungen, die für unsere Adressat*innen, aber auch für uns Sozialarbeitende sehr belastend sein können und sich direkt oder indirekt auf unsere Arbeit auswirken. Ich spreche hier nicht über die mediale Darstellung der CoVid-Situation, sondern über Not und Dilemmas, die sich im Alltag offenbaren. Seit die CoVid-19 Pandemie unseren Alltag bestimmt, hat sich der Internationale Berufsverband für Soziale Arbeit (IFSW) öfters und in verschiedenen Gremien geäussert, um den Handlungsbedarf sichtbar zu machen und um uns zu unterstützen. Einzelne Elemente werden hier eingeführt.

Was sich verbessert hat

Als positive Entwicklung wird festgestellt, dass auf internationaler Ebene deutlich mehr Austausch stattfindet, weil nun erstmals ausgiebig die bestehenden virtuellen Möglichkeiten ausgenutzt werden. Die Regionen IFSW Europa und  IFSW Africa waren dabei besonders aktiv und stellten mehrere Diskussionen über ihren YouTube-Kanal der Öffentlichkeit zur Verfügung. So berichten Kolleginnen etwa über die Gemeinwesen-Beratung als Lösung für CoVid-Probleme, wobei in Quartieren und kleineren Gebieten eine starke Nachbarschaftshilfe entstanden ist. Die Welt könnte nun etwas von ihnen, von Ubuntu, lernen. Andere berichten über Ethik, Politik aber auch andere Themen wie der Konflikt in Bergkarabach (Armenien – Azarbeijan) und andere davon, was wir aus der Schweiz auch kennen: Armutsbetroffene Menschen werden noch ärmer durch CoVid. Taglöhner*innen dürfen nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen und die Gefahr, zu verhungern, wurde grösser, als an CoVid zu erkranken.

IFSW sammelt Erfahrungen und appelliert

Rory Truell, Geschäftsleiter des IFSW, fasst in seinem Bericht die vielen ethische Dilemmas von Sozialarbeitende zusammen. Regierungen verfügen vielerorts über zu wenig Kenntnisse über das Leben der Menschen, die Adressat*innen und über die Soziale Arbeit. Hier ist mehr Offenheit und Wissen nötig. Nun soll die Transformation des Systems stattfinden, meint Rory Truell.

Die globale Ungerechtigkeit bezüglich des Zugangs zu CoVid-Test und Impfungen ist heute, im Oktober 2021, nach wie vor nicht gelöst. Dass die Staaten keine befriedigende internationale Solidarität aufbauen, ist nicht akzeptabel. Während in nördlichen Staaten über die 3.Impfdosis diskutiert wird, stehen südlichen Staaten kaum Impfdosen zur Verfügung. Hier wird eine Chance verpasst, der Welt zu zeigen, dass die Nachhaltigkeitsziele, die globale Gerechtigkeit u.a. das Ziel 10 der Nachhaltigkeitsziele umzusetzen.

IFSW hat einen weiteren Meilenstein geschafft: Zusammen mit Organisationen aus dem Gesundheitsbereich (WFPHA u.a.) und damit mit Millionen von Professionellen die - wie wir - in der Praxis tätig sind, appellierte der IFSW im Jahr 2021 an die G7, bei einer globalen Krise auch eine globale Verantwortung zu übernehmen, ein gutes Gesundheitssystem aufzubauen und nun mit Hochdruck eine soziale Grundsicherung aufzubauen. Ebenfalls soll in dieser Krise die Zusammenarbeit mit der Sozialen Arbeit und weiteren relevanten Akteuren verstärkt werden.

In vielen Events zeigte sich, was wir schon länger wissen: die Aufgabe der Sozialen Arbeit ist es auch, Bindeglied und Übersetzerin zu sein zwischen lokalen Themen, sozialen Problemen und der politischen Agenda.

Ethische Dilemmas

Im August 2021 veröffentlichte der IFSW ein kleines Handbuch, welches Sozialarbeitenden (v.a. studierenden) Anregungen zur Diskussion über ethische Dilemmas infolge der CoVid-Pandemie haben. Ein Beispiel: ein Zentrum in Hongkong bietet Schutz bei häuslicher Gewalt. Dort zeigte sich, dass seit der Pandemie deutlich weniger Menschen das Zentrum aufsuchten, weil sie die strengen Massnahmen fürchteten. Die leitende Person lockerte deshalb die CoVid-Massnahmen. Ist das ethisch oder unethisch? Oder: Was machen, wenn Kinder zur Sozialarbeiterin gebracht werden und sofort eine Pflegefamilie gesucht und gefunden wird, allerdings die CoVid-Massnahmen eine längere Wartezeit verursachen?

Persönlich finde ich, dass noch viel grössere Dilemmas ungelöst sind. Wie viel staatliche Vorgaben setzten wir ungefragt um, obwohl sie mit unseren Überzeugungen oder dem Berufskodex im Argen stehen?

Nach wie vor quält mich der Umstand, über wie lange Zeit Menschen in Behinderten- und Altersheimen (u.a.) isoliert leben mussten. Ich behaupte: die Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne zusätzliche Bedürfnisse sowie die Selbstbestimmung hat in manchen Institutionen während der Pandemie gelitten. War dies ethisch korrekt? Weshalb? Decken wir die ungerechte Praxis im Rahmen der CoVid-Massnahmen auf und haben wir die Andersartigkeit unserer Adressat*innen ausreichend anerkennt?

Mein Fazit: In der CoVid-Pandemie zeigt sich, welche systemrelevante Arbeit wir übernehmen. Für die Menschen, mit denen wir arbeiten ist gerade jetzt wichtig zu sehen, welche Lösungen wir zu ethischen Dilemmas erarbeiten. Und: CoVid löst sehr viele Dilemmas aus und verstärkt bereits bestehend

 

Wir freuen uns über Rückmeldungen und Deine Meinung zum Blog - blog@avenirsocial.ch

 

Hier ist eine Liste von internationalen Beiträgen zu CoVid zu finden: https://www.ifsw.org/covid-19/

IFSW (2021). Pandemic Ethics Resource. Gefunden unter: https://www.ifsw.org/wp-content/uploads/2021/09/2021-08-27-Pandemic-Ethics-Resource-FINAL.pdf

IFSW (2020). Ethical Challenges. Gefunden unter: https://www.ifsw.org/wp-content/uploads/2020/07/2020-06-30-Ethical-Challenges-Covid19-FINAL.pdf

Der Blog wiederspiegelt die persönlichen Haltungen der BeitragsautorInnen.