Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz

Jugendarbeit in Zeiten einer Pandemie

Jugendarbeit in Zeiten einer Pandemie 12.01.2022

Blogbeitrag von Michael Koger, Sozialpädagoge HF und Leiter Fachstelle Jugend in einer Zürcher Gemeinde. Nach dem Lockdown im Frühling 2020 rannten uns die Jugendlichen regelrecht die Bude ein. Die Jugendlichen wollten raus aus ihrem Zuhause und wollten wieder das machen,...

Blogbeitrag von Michael Koger, Sozialpädagoge HF und Leiter Fachstelle Jugend in einer Zürcher Gemeinde.

Nach dem Lockdown im Frühling 2020 rannten uns die Jugendlichen regelrecht die Bude ein. Die Jugendlichen wollten raus aus ihrem Zuhause und wollten wieder das machen, was Jugendliche ebenso machen, wenn nicht grad eine Pandemie die Welt im Griff hat. Wir hatten im Jugendtreff Rekordzahlen, es kamen teilweise bis zu 100 Jugendliche an einem Abend. Das Inventar wurde massiv belastet und die Jugendarbeitenden waren vorwiegend mit Aufsichtsaufgaben konfrontiert. Vertiefte Gespräche mussten ausserhalb des Treffs stattfinden. Der Innen- und Aussenraum musste fast jeden Abend gereinigt und geräumt werden. Es war die Hölle los.

Dann kam die Zertifikatspflicht für alle über 16 Jahre. Vielen Jugendlichen versperrte diese Massnahme die Möglichkeit in den Jugendtreff zu kommen, an Veranstaltungen teilzunehmen und Hilfsangebote der Fachstelle Jugend in Anspruch zu nehmen. Nicht wenig Jugendliche standen ab dann bei uns vor der Tür und bekundeten ihren Unmut darüber, dass sie während der kalten Jahreszeit nicht reindürfen.

Jugendliche, bei denen wir wussten, dass sie in schwierigen, familiären Verhältnissen leben, mussten wir wieder nach Hause schicken oder sie hielten sich einfach draussen im Regen und der Kälte auf.

Es war und ist nach wie vor eine schwierige Situation für Jugendliche ohne Zertifikat. Und für die Jugendarbeitenden, die meistens genau jene Jugendliche wieder nach Hause schicken müssen, für die sie eigentlich besonders da sein wollen.

Pandemie und Pubertät – eine problematische Kombi

Die Berichte aus den Medien und die Rückmeldungen aus den Kinder- und Jugendpsychiatrien zeigen auf, wohin die Langzeitfolgen der Pandemie hinführen. Stationäre Plätze sind besetzt, es gibt Wartelisten für psychologische Abklärungen und Hilfsangebote, die immer knapper werden. Ebenso melden die Suchtberatungen eine massive Zunahme von Anfragen von Jugendlichen, die Hilfe benötigen. Der Stresslevel der gesamten Schweizer Gesellschaft ist durch die Corona-Pandemie gestiegen. Nun können wir Erwachsenen uns wahrscheinlich nur schwer vorstellen, was diese Zunahme von Stress für Jugendliche bedeutet. In einer Lebensphase, in der der Stresspegel schon aufgrund der Hormone, den gesellschaftlichen Erwartungen und der Entwicklung einer eigenen Identität sehr hoch ist.

Und nun müssen wir so viele Jugendliche abweisen, wir dürfen sie nicht reinlassen, können ihnen kein Angebot machen. Wir sehen sie draussen herumstehen und versuchen natürlich, mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Doch bei vielen Jugendlichen ist uns dies nicht gelungen.

Der Kontakt bricht ab und wir wissen nicht, wie es ihnen geht und wo sie sich aufhalten.

Ich will nicht schwarzmalen, vielleicht geht es ihnen gut und sie kommen bestens klar. Doch sicher sind wir uns nicht. Denn oft können nun genau jene Jugendlichen nicht mehr rein, die fast jeden Tag bei uns im Treff standen. Und wo stehen sie wohl jetzt?

Wie wird der Blick zurück der heutigen Jugend sein?

Es ist – wie wohl in vielen Branchen aktuell - etwas frustrierend, Jugendarbeit zu leisten.  Wir bauen Beziehungen auf und können sie nicht halten, wir planen Veranstaltungen und können sie nicht durchführen und wir müssen Ideen der Jugendlichen abweisen, weil sie aktuell nicht umgesetzt werden können. Ich bin unglaublich froh, in den letzten zwei Jahren kein Teenager gewesen zu sein und es tun mir alle Jugendlichen leid, die um wichtige Erfahrungen gebracht wurden. Wie oft denke ich mit alten Jugendfreund*innen an die "guten alten Zeiten" zurück, an unbeschwerte Partys, Kurztrips, Festivals... Werden die Jugendlichen von heute auch mal in Erinnerungen schwelgen oder wird es eher einfach immer nur das Thema Pandemie sein - Corona hier, Corona da, Corona überall?

Ich kann alle Jugendlichen, die die Nase voll haben, sehr gut verstehen. Wir haben viel versucht für sie zu tun. So haben wir einen Bauwagen umgebaut, waren draussen aufsuchend unterwegs, oder haben Feuerschale Aktionen gemacht - doch auch all das hat den Jugendlichen ihr Jugendhaus nicht ersetzt. Das Einzige was wir Jugendarbeitenden aktuell tun können, ist versuchen, so gut wie möglich für sie da zu sein und gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen wieder einen möglichst „normalen“ Weg gehen können.

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