Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz

Sexismus in der Jugendarbeit

Sexismus in der Jugendarbeit 25.08.2021

Blogbeitrag von Sofia Sommer und Michael Koger, Jugendarbeitende in einer Zürcher Gemeinde Feminismus, Gleichstellung und LGBTQ – Begriffe, die derzeit in aller Munde sind. Auch bei den Besuchenden des Jugendtreffs. Die Begriffe werden von ihnen jedoch negativ bewertet. Es dominieren...

Blogbeitrag von Sofia Sommer und Michael Koger, Jugendarbeitende in einer Zürcher Gemeinde

Feminismus, Gleichstellung und LGBTQ – Begriffe, die derzeit in aller Munde sind. Auch bei den Besuchenden des Jugendtreffs. Die Begriffe werden von ihnen jedoch negativ bewertet. Es dominieren patriarchale und oft auch religiös begründete Vorstellungen von Geschlechterrollen oder Sexualität. Wir erleben einen Backlash: Frauen sollen zuhause bleiben und Männer das Geld verdienen, Homosexualität ist eine Krankheit und LGBTQ nur eine Erfindung der Moderne. Gleichstellung rückt in Gesprächen mit Jugendlichen in weite Ferne, wo sie doch gerade noch so erreichbar schien.

Wir sind ein Team von vier Jugendarbeitenden, die sich stetig mit dem Thema Gleichstellung und Geschlecht auseinandersetzen. Wir sind bemüht, alte Rollenbilder aufzuweichen, doch genau damit ecken wir bei den Jugendlichen an.

Sie zelebrieren die für uns veralteten Rollenbilder richtiggehend. Sie lieben es, mit uns zu diskutieren und uns mit ihren Ansichten zu schockieren. Was früher der Joint und vielleicht der rote Irokesenschnitt war, sind heute Sexismus, Homophobie und körperliche Gewalt.

Der Graben zwischen uns Jugendarbeitenden und den Jugendlichen könnte grösser nicht sein. Während dem wir uns Gedanken machen, wie wir in Zukunft die WCs beschriften sollen, damit sich möglichst alle wohlfühlen, erklären uns die Jugendlichen, warum Frauen nicht die gleichen Rechte zustehen wie Männern und warum Schwule verprügelt gehören und Lesben super sind, solange sie Männer an ihrem Sexleben teilhaben lassen. Die daraus resultierenden Diskussionen werden oft emotional geführt. Während wir unsere Errungenschaften durch die Ansichten der Jugendlichen in Gefahr sehen, fühlen sie sich in ihrer Meinungsäusserungsfreiheit eingeschränkt und sehen ihr traditionelles Weltbild bedroht.

Arbeiten wir an der Jugend vorbei? Oder gehen wir mit unserer Arbeit sogar gegen die in der Zürcher Agglo dominierende Jugendkultur vor?

Im Jugendtreff rappen Interpreten wie Gzuz, Koushino oder Farid Bang von Frauen als Schlampen oder Nutten. Die Zeilen sind frauenverachtend: Frauen sollen kochen, putzen und zum Sex zur Verfügung stehen – eine Kampfansage gegen emanzipierte junge Frauen. Diese Musik prägt auch die Sprache der Jugendlichen im Treff. Eine unserer Hausregeln war: Wir tolerieren keinen Sexismus. Wenn wir diese Regel konsequent umgesetzt hätten, wäre der Jugendtreff ziemlich bald leer gewesen. Neu heisst die Regel: Sexismus wird mit den Jugendlichen thematisiert. Aber wie sollen wir ihnen erklären, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, während im Hintergrund darüber gerappt wird, wie geil es ist, Frauen zu vergewaltigen?

Die Auseinandersetzung mit Rollenbildern, mit Sexualität und mit sich selbst in der Adoleszenz kostet die Jugendlichen viel Energie und ist mit viel Reibung verbunden. Dessen müssen wir uns als Jugendarbeitende bewusst sein. In diesem Prozess können wir die Jugendlichen unterstützen, indem wir ihnen als Vorbilder dienen und indem wir ihnen eine Reibungsfläche bieten und die immer wieder anstrengenden Diskussionen mit ihnen weiterführen.

Wir Jugendarbeitenden sind in der stetigen Reflexion unserer Haltung bezüglich Sexismus. Im Anschluss an Diskussionen mit Jugendlichen stellen wir unsere Haltung auch mal in Frage: sind wir einfach zu alt, um Jugendkultur richtig zu verstehen? Doch wir kommen immer wieder zum gleichen Entschluss: wir sind nicht bereit, Sexismus zu tolerieren. Es ist ein nervenaufreibender Kampf, doch es ist ein Kampf der sich für uns alle lohnt. Und am Ende profitieren auch die krassen Jungs aus dem Jugendtreff in der Zürcher Agglo von einer feministischen Zukunft!

 

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