Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz

Sozialer Wandel und Innovation in der Sozialen Arbeit – Try again. Fail again. Fail better.

Sozialer Wandel und Innovation in der Sozialen Arbeit – Try again. Fail again. Fail better. 24.02.2022

Blogbeitrag von Eric M. Ryhiner, Sozialpädagoge in Ausbildung in einer Institution für Erwachsene mit psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen sowie Masterstudent an der Hochschule für Soziale Arbeit (FHNW). Im letzten Semester an der FHNW besuchte ich einen Kurs zum Thema soziale...

Blogbeitrag von Eric M. Ryhiner, Sozialpädagoge in Ausbildung in einer Institution für Erwachsene mit psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen sowie Masterstudent an der Hochschule für Soziale Arbeit (FHNW).

Im letzten Semester an der FHNW besuchte ich einen Kurs zum Thema soziale Innovation. Inhaltlich umriss der Kurs ein breites Spektrum an Themenfeldern, angefangen bei der Bevölkerungsentwicklung, über Globalisierung bis hin zu den sich verändernden Aufgaben des Sozialstaats. Wir befassten uns mit dem systemischen Zusammenhang zwischen sozialem Wandel, sozialer Innovation und Organisationen der Sozialen Arbeit und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Dabei stellte ich mir die Frage, was denn genau soziale Innovation ist. Geoff Mulgan, ein Pionier im Bereich der sozialen Innovation, hat sich wissenschaftlich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Er hielt fest, dass uns der historische Blick auf den sozialen Wandel zeigt, dass der Wandel von gelegentlichen Schüben und langen Phasen der Stagnation geprägt ist (vgl. Mulgan, 2019: 9).  Eine soziale Bewegung kann sich über Jahrzehnte hinweg still aufbauen, um dann, wenn die Zeit reif dafür ist, plötzlich auszubrechen. Als jüngste Beispiele dafür können die Fridays for Future Bewegung, welche die Politik auffordert, die globale Erwärmung einzudämmen oder die Black Lives Matter Bewegung, welche aufgrund des durch Polizeigewalt verursachten Todes von George Floyd kräftigen Anschub erhielt, genannt werden.

Betrachtet man die Soziale Arbeit, werden die Innovationen der Vergangenheit als selbstverständlich angesehen, obwohl ihnen jahrzehntelange Auseinandersetzungen zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen vorhergegangen waren.

Die Entwicklung neuer UN-Konventionen, welche als Erweiterung der Menschenrechte gewertet werden können, basiert auf langjährigen politischen Prozessen. Und selbst nach ihrer Verabschiedung dauert es meist noch sehr lange, bis sie auf kantonaler Ebene umgesetzt werden und damit bemerkbare Auswirkungen auf ihre Zielgruppe haben. Ein gutes Beispiel dafür ist die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006. Gemäss dem Bericht zur Behindertenpolitik im Kanton Bern 2016 sei eine Veränderung in der Gesellschaft im Umgang mit Menschen mit Behinderung erkennbar. «Gegenüber der traditionellen Versorgungslogik, die Behinderung mit individuellen Defiziten und mit Bedürftigkeit assoziiert, werden vermehrt die Chancengleichheit, die soziale und berufliche Teilhabe und Partizipation ins Zentrum gerückt» (Detreköy, et al. 2016: 10). Dies kann als sozialer Wandel gewertet werden, der sich u.a. auf Institutionen auswirkt, die Menschen mit Behinderung betreuen und begleiten. Der Kanton Basel-Stadt betreibt seit 2021 eine eigene Fachstelle für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, um das erste kantonale Behindertengleichstellungsgesetz umsetzen zu können (vgl. Kantons- und Stadtentwicklung, o.J.). Zwischen der Verabschiedung der Revision und Gründung der eigenen Fachstelle für Behindertenrechte in Basel sind also nochmals 15 Jahre vergangen. Diese Zahlen zeigen deutlich auf, wie politische Prozesse, die Innovationen in der Sozialen Arbeit, die sich durchsetzen, zusätzlich bremsen. Bis solche Innovationen schliesslich im Berufsalltag integriert sind, vergehen weitere Jahre.

Denn Innovation spielt sich auch wesentlich in den Köpfen der Personen ab, die sie umsetzen sollen und verursachen dabei nicht selten grosse Widerstände.

Seit August letzten Jahres arbeite ich in einer Institution für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Auch in dieser therapeutischen Wohngemeinschaft wurden soziale und berufliche Teilhabe, Partizipation sowie Selbstbestimmung in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt. Um diese Werte auch mit Leben zu füllen und im Alltag der Adressat*innen zu implementieren, finden regelmässige Bezugspersonengespräche statt, welche die Evaluation der kooperativ entwickelten Förderziele zum Inhalt haben. Wenn ich dann jeweils versuche mit den Adressat*innen die Entwicklung ihrer Feinziele zu besprechen, kommt mir Widerwillen, Trotz und Zorn entgegen. Ich frage mich dann, wer von dieser Innovation mehr profitiert. Ich als Fachperson der Sozialen Arbeit, der sich in seinem methodischen Handeln bestätigt fühlt oder die Adressat*innen, die sich bezüglich Partizipation, Selbstbestimmung und sozialer Teilhabe gestärkt fühlen sollen? Sämtliche dieser kooperativen Interventionen beruhen auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Der Grossteil der Eingriffe scheitert jedoch beim ersten Anlauf und ich motiviere mich mit Becketts Mantra: «Try again. Fail again. Fail better.»

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Quellen

Detreköy, C., Steiner, E., & Zürcher, T. (2016). Behindertenpolitik im Kanton Bern 2016. Bern: Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern.

Kantons- und Stadtentwicklung. (o.J.). Rechte von Menschen mit Behinderung. Retrieved Januar 3, 2022, from https://www.entwicklung.bs.ch/behindertenrechte

Mulgan, G. (2019). Social Innovation. How societies find the power to change . Bristol: Policy Press.

 

Der Blog wiederspiegelt die persönlichen Haltungen der BeitragsautorInnen.