Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz

Politische Aktivitäten

AvenirSocial verfasst Positionen an das eidgenössische Parlament, Stellungnahmen zu Vernehmlassungen, Abstimmungsempfehlungen sowie weiteren politischen Aktualitäten.

01.09.2025

Stellungnahme zur Änderung des Obligationenrechts (Verlängerung des Urlaubs für ausserschulische Jugendarbeit)

AvenirSocial begrüsst die Änderung von Art. 329e OR, mit welcher der unbezahlte Jugendurlaub von 5 auf 10 Tage verlängert wird....

AvenirSocial begrüsst die Änderung von Art. 329e OR, mit welcher der unbezahlte Jugendurlaub von 5 auf 10 Tage verlängert wird. Diese Massnahme stärkt das freiwillige Engagement von Jugendlichen, das ihrer Entwicklung, ihrer Gesundheit, ihrer sozialen und beruflichen Integration zugute kommt sowie die Jugendorganisationen stärkt.

Download Stellungnahme zur Änderung des Obligationenrechts (Verlängerung des Urlaubs für ausserschulische Jugendarbeit)
26.08.2025

Kanton Bern: Appell an den Berner Grossen Rat zur Totalrevision des Sozialhilfegesetzes

Eine Allianz von Organisationen der Zivilgesellschaft und Fachleuten aus der Praxis appellieren an die Mitglieder des Grossen Rates. Diese Revision...

Eine Allianz von Organisationen der Zivilgesellschaft und Fachleuten aus der Praxis appellieren an die Mitglieder des Grossen Rates. Diese Revision verfolgt unter dem Vorwand der Modernisierung eine Logik von Kontrolle, Sanktion und Verwaltungsführung – auf Kosten des zentralen Auftrags der Sozialen Arbeit: Menschen in schwierigen Lebenslagen zu unterstützen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Damit die Sozialhilfe ihre Rolle als Sicherheitsnetz und Integrationsinstrument voll wahrnehmen kann, muss sie auf Vertrauen, Respekt gegenüber den Menschen und die Kompetenz der Fachpersonen setzen – nicht auf ineffektive Kontrollmechanismen. AvenirSocial fordert eine grundlegende Überarbeitung dieses Gesetzesentwurfs.

Download Appell an den Grossen Rat Download Medienmitteilung
25.08.2025

Kanton Freiburg: Stellungnahme zur Schaffung eines Gesetzes zur Bekämpfung häuslicher Gewalt (auf französisch)

Die zunehmende Gewalt gegen Frauen und Mädchen offenbart anhaltende Geschlechterungleichheiten und den dringenden Bedarf nach einer starken politischen Antwort. AvenirSocial...

Die zunehmende Gewalt gegen Frauen und Mädchen offenbart anhaltende Geschlechterungleichheiten und den dringenden Bedarf nach einer starken politischen Antwort. AvenirSocial unterstützt die Schaffung eines kantonalen Gesetzes gegen häusliche Gewalt im Kanton Freiburg. Ein solches Gesetz, das mit verstärkten personellen, finanziellen und technischen Mitteln einhergeht, ist für den Schutz der Opfer und für die Verhinderung von weiteren Gewalttaten unerlässlich. Der Kampf gegen diese Gewalt erfordert zudem Massnahmen in der Erziehung und Sensibilisierung bereits im Kindesalter sowie die Ausbildung von Fachkräften.

Download Stellungnahme zur Schaffung eines Gesetzes zur Bekämpfung häuslicher Gewalt im Kanton Freiburg (auf französisch)
18.08.2025

Stellungnahme von AvenirSocial und SAGES zum Abbau der Sozialberatung am Inselspital

Der Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz (AvenirSocial) und der Schweizerische Fachverband für gesundheitsbezogene Soziale Arbeit (SAGES) zeigen sich tief besorgt über...

Der Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz (AvenirSocial) und der Schweizerische Fachverband für gesundheitsbezogene Soziale Arbeit (SAGES) zeigen sich tief besorgt über den Abbau von Stellen in der Sozialberatung am Inselspital Bern. Die Sozialberatung ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer ganzheitlichen und patient*innenzentrierten Gesundheitsversorgung. Ihr Wegfall gefährdet nicht nur die Qualität der Betreuung, sondern hat weitreichende negative Folgen für Patient*innen, das Gesundheitssystem und die Gesellschaft.

Sozialarbeiter*innen in Krankenhäusern leisten einen zentralen Beitrag zur frühzeitigen Erkennung von psychosozialen Belastungen, zur Stabilisierung komplexer Lebenslagen und zur Koordination von Versorgungsprozessen. Sie tragen wesentlich dazu bei, Spitalaustritte nachhaltig zu organisieren und Rehospitalisierungen zu vermeiden. Ohne diese Begleitung geraten vulnerable Patient*innen vermehrt in soziale Notlagen, was ihre Genesung behindert, die Gefahr von sozial bedingten Rehospitalisierungen erhöht und zusätzliche finanzielle und personelle Belastungen für das Versorgungssystem mit sich bringt. Die Sozialberatung in Krankenhäusern spielt eine wichtige Rolle in der patient*innenzentrierten Gesundheitsversorgung. Sie wirkt an der Nahtstelle zwischen medizinischer Betreuung und sozialer Absicherung und trägt wesentlich zur ganzheitlichen Betreuung – im Sinne eines biopsychosozialen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit – bei. Durch ihre Arbeit entlastet die Sozialberatung das medizinische, pflegerische und therapeutische Fachpersonal und schafft Raum für deren eigentlichen Kernaufgaben. Die Sozialberatung unterstützt und begleitet Patient*innen in belastenden Lebenssituationen, fördert das Selbstmanagement und trägt zur Stabilisierung der Gesundheit bei. Die Wirkung ihrer Leistungen ist empirisch belegt* Studien zeigen, dass durch gezielte sozialarbeiterische Interventionen Krankenhausaufenthalte verkürzt oder vermieden werden können, die finanzielle Sicherheit von Patient*innen verbessert wird und das Gesundheitssystem insgesamt effizienter arbeitet. Somit ist die klinische Sozialberatung nicht nur ein wesentlicher Pfeiler für die individuelle Versorgung, sondern auch ein entlastender gesundheitsökonomischer Faktor.

Langfristig führen Stellenreduktionen in der Sozialberatung zu höheren Kosten, da Prävention und soziale Stabilisierung vernachlässigt werden. Ein Abbau von Sozialarbeit im Gesundheitswesen untergräbt die interprofessionelle Zusammenarbeit, schwächt Public Health-Ziele und sendet ein gefährliches Signal zur gesellschaftlichen Bedeutung der sozialen Aspekte von Gesundheit und Krankheit. Besonders betroffen sind sozial benachteiligte Menschen, deren Zugang zu Gesundheitsleistungen ohne soziale Unterstützung erschwert
ist.

AvenirSocial und SAGES fordern daher die Inselgruppe und die politischen Entscheidungsträger*innen im Kanton Bern auf, diesen Stellen- und Leistungsabbau kritisch zu reflektieren und – in Zusammenarbeit mit Berufs- und Fachverbänden wie den unsrigen – die Rolle der Sozialen Arbeit in der Gesundheitsversorgung zu stärken. Dazu gehören auch politische Massnahmen zur dauerhaften und sicheren Finanzierung der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit. Eine moderne, nachhaltige und gerechte Gesundheitsversorgung braucht nicht weniger, sondern mehr sozialarbeiterische Ressourcen, um ihre Verantwortung gegenüber den Menschen und der Gesamtbevölkerung umfassend und nachhaltig wahrzunehmen.

Download Stellungnahme von AvenirSocial und SAGES zum Abbau der Sozialberatung am Inselspital
24.07.2025

Stellungnahme zur Genehmigung der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation Nr. 190 und Nr. 191

AvenirSocial befürwortet die Ratifizierung der IAO-Übereinkommen Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt und Nr....

AvenirSocial befürwortet die Ratifizierung der IAO-Übereinkommen Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt und Nr. 191 zur Änderung von Normen infolge der Anerkennung eines sicheren und gesunden Arbeitsumfelds als grundlegendes Prinzip. Sie setzen klare Signale gegen Gewalt und Belästigung sowie für das Recht auf ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld – Grundprinzipien, die im Schweizer Recht bereits verankert sind. Als Gastgeberstaat der IAO sollte die Schweiz ihre internationale Verantwortung wahrnehmen und ihre Glaubwürdigkeit stärken.

Download Stellungnahme von zur Genehmigung der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation Nr. 190 und Nr. 191 (PDF)
15.07.2025

Kanton Neuchâtel: Stellungnahme zur Teilrevision der Kantonsverfassung sowie die Revision des Gesetzes über die politischen Rechte (auf französisch)

AvenirSocial begrüsst die Teilrevision der Kantonsverfassung sowie die Revision des Gesetzes über die politischen Rechte. Mit diesen Änderungen nimmt der...

AvenirSocial begrüsst die Teilrevision der Kantonsverfassung sowie die Revision des Gesetzes über die politischen Rechte. Mit diesen Änderungen nimmt der Kanton Neuenburg seine Verantwortung bei der Umsetzung des UNO-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) war. Indem der Ausschlusses vom Wahlrecht für Personen unter umfassender Beistandschaft oder mit Vorsorgeauftrag aufgehoben wird, verschwindet eine langjährige Diskriminierung, die weder notwendig noch zulässig war.

Gemäss dem Berufskodex der Sozialen Arbeit in der Schweiz (2010) ist die Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben von grundlegender Bedeutung, weshalb das Wahlrecht im Sinne der Chancengleichheit für alle garantiert werden muss.

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07.07.2025

Kanton Graubünden: Stellungnahme zur Teilrevision der Kantonsverfassung und des Gesetzes über die politischen Rechte im Kanton Graubünden betreffend Einführung Stimmrechtsalter 16

AvenirSocial unterstützt die Einführung des Stimmrechts ab 16 Jahren im Kanton Graubünden. Diese Massnahme stärkt die politische Teilhabe von Jugendlichen,...

AvenirSocial unterstützt die Einführung des Stimmrechts ab 16 Jahren im Kanton Graubünden. Diese Massnahme stärkt die politische Teilhabe von Jugendlichen, fördert die Demokratie und sorgt für eine bessere Generationengerechtigkeit. In unserer Stellungnahme betonen wir zudem die Bedeutung der politischen Bildung zur Begleitung dieses Rechts. Jugendliche sind bereit und haben das Recht, aktiv an der Politik teilzunehmen.

Download Stellungnahme zur Teilrevision der Kantonsverfassung und des Gesetzes über die politischen Rechte im Kanton Graubünden betreffend Einführung Stimmrechtsalter 16
13.06.2025

Stellungnahme in Freiburg gegen das «PAFE» (Programm zur Sanierung der Staatsfinanzen, auf französisch)

Der Freiburger Staatsrat hat sich entschieden, die Sanierungsbemühungen auf zwei Hauptziele zu konzentrieren: das Staatspersonal und die sozialen Einrichtungen. Diese...

Der Freiburger Staatsrat hat sich entschieden, die Sanierungsbemühungen auf zwei Hauptziele zu konzentrieren: das Staatspersonal und die sozialen Einrichtungen. Diese Entscheidung ist weder neutral noch unvermeidlich. Sie ist das Ergebnis einer politischen Ausrichtung, die die Senkung der Sozialausgaben und die Verlagerung der Lasten auf die Gemeinden und die Nutzerinnen und Nutzer bevorzugt, zum Nachteil des sozialen Zusammenhalts und des gleichberechtigten Zugangs zu den Leistungen.

Download Stellungnahme in Freiburg gegen das «PAFE» (PDF, auf französisch)
11.06.2025

Offener Brief – Totalrevision des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern

Mit tiefer Besorgnis und einem Gefühl der Hilflosigkeit wenden wir, die seit langem im Bereich der Sozialarbeit engagierten Institutionen, uns...

Mit tiefer Besorgnis und einem Gefühl der Hilflosigkeit wenden wir, die seit langem im Bereich der Sozialarbeit engagierten Institutionen, uns heute an Sie. Die laufende Totalrevision des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern gibt Anlass zu grosser Besorgnis, sowohl inhaltlich als auch formal. Wir beklagen vor allem den undurchsichtigen Erarbeitungsprozess, der ohne wirkliche Absprache mit den betroffenen Akteur*innen durchgeführt wurde. Diese Ausklammerung stellt nicht nur die Frage nach der demokratischen Legitimität der Reform, sondern auch nach ihrer praktischen Wirksamkeit und ihrem Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit. Auch wenn wir anerkennen, dass einige Massnahmen der Reform in die richtige Richtung gehen, möchten wir unseren Blick auf die zahlreichen Unzulänglichkeiten und kritischen Punkte richten, die die Wirksamkeit und soziale Gerechtigkeit der Regelung gefährden.

Inhaltlich erscheinen uns mehrere Aspekte der Überarbeitung besorgniserregend. Die Nichtberücksichtigung einiger der in diesem Brief genannten Punkte gefährdet das Gleichgewicht und die Kohärenz eines Systems, das grundsätzlich auf Solidarität, Würde und Inklusion beruhen sollte. Der Regierungsrat selbst spricht von der Notwendigkeit, die Sozialhilfe zu modernisieren. Aber die vorgeschlagene Revision setzt diese Absicht nicht um und zeigt damit eine sehr verkürzte Sicht auf die angekündigte Modernisierung auf. Wir, die zivilgesellschaftlich organisierten, sozialen Institutionen, die diesen Brief verfasst haben, wünschen uns ein Gesetz, das auf Innovation ausgerichtet ist und das sich am aktuellen wissenschaftlichen Diskurs in Bezug auf die Wirkung sozialpolitischer Interventionen orientiert. Mit diesem Brief möchten wir als Fachorganisationen unsere Sicht der Dinge darlegen und uns so in den politischen Prozess einbringen.

Kinder: Ein inakzeptabler blinder Fleck in der Totalrevision des Sozialhilfegesetzes

Zu den besorgniserregendsten Lücken dieser Gesetzesrevision zählt das Fehlen einer ernsthaften Berücksichtigung der Situation von Kindern, die Sozialhilfe beziehen. Dieses Versäumnis ist umso besorgniserregender, als es eine heute gut dokumentierte Tatsache ignoriert: Das Aufwachsen in einem von der Sozialhilfe unterstützten prekären Umfeld erhöht das Risiko signifikant, auch als erwachsene Person in diesem Umfeld zu verbleiben. Anders ausgedrückt: Wenn die Sozialhilfe nicht von gezielten Massnahmen zur Prävention, Eingliederung und Unterstützung von Kindern begleitet wird, ist sie nicht mehr nur ein vorübergehendes Sicherheitsnetz, sondern wird zu einem Faktor, der Ungleichheiten reproduziert. Diese Armutsspirale, die durch Längsschnittstudien in zahlreichen Kontexten bestätigt wird, erfordert strukturelle, durchdachte und nachhaltige Antworten. Der vorliegende Gesetzesentwurf blendet diese Realität jedoch aus. Er schlägt weder eine Vision noch Mittel vor, ja beinhaltet nicht einmal eine explizite Anerkennung der spezifischen Bedürfnisse von Kindern. So schlägt der Entwurf auch entgegen der Grundsatzentscheidung der SODK von Mitte Mai, nichts zur Verbesserung der Situation von Kindern vor, die in der Sozialhilfe gemessen an der Wohnbevölkerung deutlich überrepräsentiert sind.

Prävention: ein geopferter Pfeiler

Die laufende Totalrevision scheint die Logik der Sozialhilfe auf einen strikt reaktiven Ansatz zu reduzieren, der sich auf die Kontrolle und das Management von persönlichen Notfallsituationen konzentriert. Eine Sozialpolitik, die diesen Namen verdient, beruht jedoch in erster Linie auf Prävention, das bedeutet auf der Fähigkeit, vor und nach den – wirtschaftlichen, familiären und psychologischen – Brüchen einzugreifen, um deren schwerwiegende Auswirkungen zu verhindern. Indem die Reform die präventiven Massnahmen minimiert und den Handlungsspielraum der Fachpersonen der Sozialen Arbeit für eine langfristige Begleitung einschränkt, geht sie das Risiko ein, die menschlichen und finanziellen Kosten der Armut für die Gesellschaft dauerhaft zu erhöhen. Denn wer nicht vorbeugt, muss reparieren – zu einem viel höheren Preis, sowohl für die Betroffenen als auch für die Allgemeinheit. Diese Präventionslogik lässt sich nicht am Rande eines Gesetzesartikels verordnen: Sie erfordert Ressourcen, eine Anerkennung der Beziehungsarbeit, Zeit und vor allem Vertrauen in die Kompetenzen der Fachkräfte. Indem die Reform diese Dimension schwächt, widerspricht sie dem eigentlichen Ursprung der Sozialhilfe als strukturierende und emanzipatorische öffentliche Politik.

Integration: ein fehlendes Ziel

Eine der grundlegenden Aufgaben der Sozialhilfe ist es, ein Hebel für die – soziale, wirtschaftliche und kulturelle – Integration zu sein. Sie muss den Betroffenen nicht nur das kurzfristige Überleben, sondern vor allem den Wiederaufbau ermöglichen. Dies bedeutet für die Menschen ihren Platz in der Gesellschaft (wieder) zu finden, Zugang zu ihren Rechten, zu einer würdigen Beschäftigung, einer stabilen Wohnung und einem bereichernden Beziehungsleben zu erhalten. Die Totalrevision in ihrer aktuellen Fassung ignoriert fachliche Aufgabe weitgehend. Das Gesetz macht keine klare Ausrichtung zur Förderung der Begleitung zur Autonomie, zur beruflichen Eingliederung oder zur sozialen Teilhabe. Schlimmer noch: Einige der geplanten Massnahmen könnten die Stigmatisierung der Betroffenen verschärfen, die Isolation verstärken und Menschen davon abhalten, die Hilfe überhaupt anzunehmen, auf die sie eigentlich Anspruch haben. Wir lehnen eine Vision der Sozialhilfe ab, die infantilisiert, die kontrolliert, ohne zu unterstützen, die sanktioniert, ohne zu verstehen. Integration kann nur auf der Grundlage von Würde, Vertrauen und Respekt für den Werdegang jedes einzelnen Menschen aufgebaut werden.

Die Totalrevision verwechselt Sozialarbeit mit einer blossen Verwaltungsfunktion.

Wer die Sozialarbeit auf eine einfache Verwaltungsfunktion reduziert, verleugnet die Grundwerte der Profession: Bindungen schaffen, Menschen in Schwierigkeiten begleiten und direkt vor Ort eingreifen. Diese Revision verstärkt aber genau die Einmischung des Kantons in die operative Arbeit der Sozialdienste, indem sie einen auf Sanktionen und Kontrollen konzentrierten Ansatz bevorzugt. Die Zunahme des Verwaltungsaufwands aufgrund der Vervielfachung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen schwächt das Vertrauensverhältnis zwischen den Fachleuten und den Leistungsbeziehenden. Die Fachpersonen verfügen über die notwendigen Kompetenzen, um eine nachhaltige Begleitung, eine erfolgreiche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und eine an den Lebensweg der Personen angepasste Unterstützung anzubieten. Dies erfordert zwingend eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, insbesondere durch die Gewährleistung von ausreichend Zeit für eine qualitativ hochwertige Betreuung. Die administrative Überlastung darf nicht die Kernaufgaben, wie die soziale, kulturelle und politische Integration der Leistungsbeziehenden, verunmöglichen. Es ist unerlässlich, die notwendigen Ressourcen bereitzustellen, um überhaupt über qualitative Verbesserungen der Sozialdienste nachzudenken zu können.

Selbstbehalt setzt Fehlanreize und ist eine Leistungskürzung durch die Hintertür

Das vorgeschlagene Selbstbehaltmodell soll Anreize zur Kostensenkung setzen, weist jedoch erhebliche anreizökonomische Schwächen auf. Es gehört zur gleichen Modellklasse wie das Bonus-Malus-System, welches in der Vergangenheit einer gerichtlichen Überprüfung nicht standgehalten hat. Im Vortrag wird beschrieben, der Selbstbehalt setze Anreize dafür, dass die Sozialdienste subsidiäre Leistungen abklären oder ihre Kosten senken, indem sie mehr Fälle ablösen. Doch bereits heute werden subsidiäre Leistungen konsequent geltend gemacht, und durch das neu aufgebaute Sozialrevisorat (FASR) werden die Sozialdienste in diesem Bereich künftig eng vom Kanton kontrolliert. Die Behauptung, Sozialdienste könnten die Zahl der Ablösungen einfach erhöhen, ist zynisch. Tatsächlich setzt der Selbstbehalt Anreize für ein Hin- und Herschieben bedürftiger Personen zwischen den Sozialdiensten. So könnten beispielsweise die kommunal festgelegten Mietzinsrichtlinien unter Druck geraten oder die situationsbedingten Leistungen könnten nur noch sehr restriktiv gewährt werden. Damit werden den betroffenen Personen nicht nur ein würdiges Dasein, sondern auch Entwicklungschancen genommen. Es handelt sich dabei also um eine Leistungskürzung durch die Hintertür, obwohl die Stimmbevölkerung eine solche Kürzung zu Lasten der Schwächsten im Rahmen der letzten SHG- Revision abgelehnt hat.

Variable Sozialhilfe für ausländische Personen: eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung mit weitreichenden Folgen

Die mit dieser Reform eingeführte Möglichkeit, für ausländische Staatsangehörige niedrigere Sozialhilfebeträge festzulegen, stellt einen direkten Angriff auf das Grundprinzip der Gleichheit vor Sozialleistungen dar. Diese unterschiedliche Behandlung, die nicht auf der konkreten Situation der Personen, sondern auf ihrer Staatsangehörigkeit beruht, schwächt einen sowieso gefährdeten Teil der Bevölkerung und untergräbt die Grundmauern einer gerechten und kohärenten Sozialpolitik. Durch die Einführung einer solchen Unterscheidung ignoriert die Totalrevision die Lebensrealität vieler ausländischer Personen, die oft mit prekären Lebensbedingungen und zusätzlichen Hindernissen bei der Arbeit, der Wohnungssuche, der Gesundheit oder der Bildung konfrontiert sind. Diese Massnahme fördert keinesfalls ihre Autonomie, sondern birgt die Gefahr, dass sie in steter Unsicherheit verbleiben, mit schädlichen Auswirkungen auf ihre Gesundheit, die Entwicklung der Kinder, die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und ihre Integrationsaussichten. Darüber hinaus sendet eine solche Regelung ein beunruhigendes politisches Signal aus: ein System, das nicht mehr auf die Grundbedürfnisse aller Menschen eingeht, sondern auf Ausgrenzungslogiken setzt. Sie schürt Spaltungen, destabilisiert die Arbeit von Fachpersonen und schwächt das Vertrauen in die Institutionen. Kurzfristig führt es zu neuen Ungleichheiten. Langfristig gefährdet sie die Chancen auf eine wirklich integrative Gesellschaft. Die Sozialhilfe muss weiterhin auf individuellen Bedürfnissen und Situationen basieren, nicht auf dem administrativen Status von Personen. Der soziale Zusammenhalt und die Achtung der Menschenwürde sind nicht verhandelbar.

Zusätzliche Hürden für Bedürftige beziehungsweise die Illusion von Einsparungen

Das geltende Recht bedeutet bereits heute erhebliche Hürden für den Zugang zur Sozialhilfe. Eine starke soziale Stigmatisierung in Verbindung mit umständlichen Verwaltungsverfahren führt dazu, dass nur zwei Drittel der anspruchsberechtigten Personen diese überlebenswichtige Hilfe auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Diese Realität wird durch die vorgeschlagenen neuen Bestimmungen dramatisch verschärft. Durch die explizite Einführung des Schuldbegriffs, der zwischen „würdigen“ und „unwürdigen“ Sozialhilfebeziehenden unterscheidet, geht die Revision des Sozialhilfegesetzes die Problematik mit einem veralteten und zutiefst kontraproduktiven Ansatz an: Sie verstärkt die Ausgrenzung und entmutigt Bedürftige noch mehr, ihre Rechte geltend zu machen. Diese Logik, die von den unterzeichnenden dieses Briefes dezidiert abgelehnt wird, verschärft die Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfe und vertieft die Ungleichheiten. Die Totalrevision sieht auch eine Verschärfung der Sanktionen und Kontrollen vor, die auf dem Prinzip des Generalverdachts beruhen. Gezielte Sanktionen können zwar manchmal notwendig sein, doch die Einführung eines Regimes, das generelle Verdächtigungen sanktioniert, ist inakzeptabel. Sie schadet nicht nur den Betroffenen, sondern erweist sich auch als kontraproduktiv für die Gesellschaft als Ganzes. Darüber hinaus bleiben die tatsächlichen Auswirkungen dieser Massnahmen, sowohl hinsichtlich der Anzahl der betroffenen Personen als auch der erzielten Haushaltseinsparungen, unklar und werden nicht ausreichend begründet. Der Gesetzentwurf schlägt auch einen beispiellosen Eingriff in die Privatsphäre von Menschen mit Armutserfahrungen vor, mit Bestimmungen, die die massenhafte Erhebung und Weitergabe sensibler persönlicher Daten, oft ohne Zustimmung, ermöglichen. Diese in der Schweiz einzigartigen Massnahmen sind nicht nur diskriminierend, sondern verstossen auch gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie greifen in Grundrechte ein, indem sie unter anderem die Aufhebung des Sozialhilfegeheimnisses, Meldepflichten gegenüber Dritten (Arbeitgebende, Vermietende, Versicherungen, Ärzt*innen) ohne ausreichende Garantien zulassen. Diese Kombination von Massnahmen schafft einen repressiven, aufdringlichen und angstbesetzten Rahmen, der prekarisierte Personen von notwendiger Unterstützung fernhält und damit das Risiko einer dauerhaften Ausgrenzung und die späteren Sozialkosten erhöht.

Abschliessend möchten wir anmerken, dass einige Massnahmen dieser Gesetzesrevision zwar in die richtige Richtung gehen, unser Engagement uns jedoch dazu zwingt, hier mit Nachdruck auf die zahlreichen Unzulänglichkeiten und verpassten Chancen zur Modernisierung hinzuweisen. Der ohne umfassende Absprache durchgeführte Erarbeitungsprozess, die fehlende Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse der Kinder, der Rückgang der Präventionsmassnahmen, die Infragestellung der Integrationsmassnahmen sowie die Verletzung insbesondere des Datenschutzes sind alarmierende Signale.

Wir fordern die Parlamentarier*innen des Grossen Rates des Kantons Bern, insbesondere diejenigen, die der Kommission für Gesundheit und Soziales angehören und die Totalrevision des Sozialhilfegesetzes vorbereiten, auf, diese konstruktive Kritik anzuhören und einen echten Dialog mit allen betroffenen Akteur*innen zu eröffnen, um ein modernes Sozialhilfegesetz auszuarbeiten, das den aktuellen menschlichen und sozialen Herausforderungen gewachsen ist, die Rechte und die Würde aller Menschen respektiert und eine wirksame und nachhaltige Solidarität sicherstellt

Unterzeichnet von

actio Bern
Alliance Enfance
AvenirSocial
Demokratische Jurist*innen Bern
Dachverband soziale Institutionen Biel Region DSI-OIS
Kriso – Forum für kritische Soziale Arbeit
Qualifutura
Schweizerischer Fachverband für gesundheitsbezogene Soziale Arbeit SAGES
Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS

Download Offener Brief – Totalrevision des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern Download Anhang: Statements und Kontakte der unterzeichnenden Organisationen
22.05.2025

Stellungnahme zur Förderung der Erwerbstätigkeit von Personen mit Schutzstatus S und Zulassungserleichterungen für in der Schweiz ausgebildete Drittstaatsangehörige

AvenirSocial begrüsst die vorgesehenen Erleichterungen zur Arbeitsmarktintegration von Personen mit Schutzstatus S. Gleichzeitig kritisieren wir, dass gewisse Bedingungen – etwa...

AvenirSocial begrüsst die vorgesehenen Erleichterungen zur Arbeitsmarktintegration von Personen mit Schutzstatus S. Gleichzeitig kritisieren wir, dass gewisse Bedingungen – etwa beim Kantonswechsel oder bei der Teilnahmeverpflichtung an Integrationsmassnahmen – zu restriktiv sind und die Lebensrealitäten der Betroffenen zu wenig berücksichtigen. AvenirSocial fordert flexiblere, individuell angepasste und besser koordinierte Massnahmen sowie eine stärkere Berücksichtigung spezifischer Bedürfnisse wie Kinderbetreuung.

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